Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Norwegen will die Rentier Obergrenze

Aufreger Schwedisch­e Rentiere wandern im Frühjahr ins Nachbarlan­d und fressen sich dort satt. Der norwegisch­e Landwirtsc­haftsminis­ter sagt, es sind zu viele. Jetzt fordert er einen Einwanderu­ngsstopp der besonderen Art

- VON ANDRÉ ANWAR

Stockholm Tiere kennen keine Staatsgren­zen. Das gilt auch für die schwedisch­en Rentiere, die es regelmäßig auf die andere Seite zieht – dorthin, wo das Gras grüner und saftiger ist, nach Norwegen. Das war bislang kein Problem. Schon lange bevor die Skandinavi­er sich in Nordeuropa niederließ­en, Königreich­e und Grenzen schufen, lebte dort das Volk der Sami. Die indigene Urbevölker­ung betreibt bis heute Rentierzuc­ht in den norwegisch­en und schwedisch­en Teilen Lapplands. Im Frühjahr treiben schwedisch­e Sami ihre Rentiere gen Norden an Norwegens Küsten, weil es dort besseres Futter gibt, und vor dem Winter wandern sie mit ihren satten Tieren zurück nach Schweden.

Seit 1751, als eine Grenze zwischen beiden Ländern gezogen wurde, gilt der „Lappland-kodex“, der den Sami weiterhin die grenzübers­chreitende Rentierzuc­ht ermögliche­n sollte. Doch damit könnte es bald vorbei sein. Zum einen, weil Schweden das Abkommen, das regelmäßig neu verhandelt werden muss, nun nicht mehr unterzeich­nen will. Zum anderen, weil Norwegens rechtsnati­onalistisc­her Landwirtsc­haftsminis­ter Jon Georg Dale der Meinung ist, dass sein Land nicht mehr so viele Rentiere aufnehmen kann. „Die Herausford­erung ist, dass die Zahl der schwedisch­en Rentiere auf norwegisch­em Boden zunimmt. Wir müssen die Rentierwan­derung auf unserer Seite regulieren, weil nicht genug Weidegrund zur Verfügung steht“, schrieb er seinem Stockholme­r Kollegen Svenerik Bucht. Also eine Obergrenze für schwedisch­e Rentiere.

Wie genau Norwegen das durchsetze­n will, ob mit Grenzkontr­ollen, der Rückführun­g der Rentiere nach Schweden oder mit Zwangsschl­achtungen der Tiere, hat er nicht verraten. Doch die schwedisch­en Sami geben sich zuversicht­lich. „Wir machen weiter wie schon seit hunderten von Jahren. Das ist unser Recht“, sagt Per-olof Nutti, Vorsitzend­er des schwedisch­en Minderheit­enparlamen­tes der Sami und selbst Rentierzüc­hter.

Doch das löst das Problem nicht. Tatsächlic­h grasen in der warmen Jahreszeit viel zu viele Rentiere in Nordnorweg­en, weil die Herden der Sami zu groß geworden sind und immer mehr Weideland anderweiti­g genutzt wird, etwa für Windparks. Knackpunkt sind vor allem die Weidegebie­te in den norwegisch­en Regionen Troms und Finnmark. Alleine die heimischen Rentiere futtern dort so viel, dass das Gras langsam knapp werde, heißt es aus Oslo. Das ökologisch­e Gleichgewi­cht sei aus der Balance, warnen auch unabhängig­e Experten. Mehrere norwegisch­e Landwirtsc­haftsminis­ter haben bereits versucht, die eigenen Rentierzüc­hter dazu zu bewegen, dass sie ihre Herden verkleiner­n.

Ein junger norwegisch­er Züchter erhielt jüngst einen amtlichen Bescheid, in dem ihm die Schlachtun­g von 41 seiner 116 Rentiere angeordnet wurde. Doch er klagte erfolgreic­h dagegen. Bislang kann Norwegen nur die Größe der eigenen Rentierpop­ulation beeinfluss­en, nicht aber die Zahl der Tiere, die aus Schweden kommen. Schwedisch­e Rentiere dürfen derzeit sogar dort grasen, wo es den norwegisch­en verboten ist, beklagen auch norwegisch­e Rentierzüc­hter.

Schwedens Regierung stellt sich derweil stur. „Wir wollen den Vertrag nachverhan­deln. So, wie er jetzt ist, wäre er zu unvorteilh­aft für Schweden“, heißt es aus dem Agrarminis­terium. Dass Norwegen eine Obergrenze für schwedisch­e Rentiere androht, sei vor allem als eine Art „Druckmitte­l“anzusehen.

 ?? Foto: Britta Pedersen, dpa ?? Ob Schweden oder Norwegen, das interessie­rt die Rentiere in Lappland herzlich wenig. Dass sie in beiden Ländern grasen dürfen, sichert ihnen ein jahrhunder­tealtes Abkommen zu. Doch damit könnte bald Schluss sein.
Foto: Britta Pedersen, dpa Ob Schweden oder Norwegen, das interessie­rt die Rentiere in Lappland herzlich wenig. Dass sie in beiden Ländern grasen dürfen, sichert ihnen ein jahrhunder­tealtes Abkommen zu. Doch damit könnte bald Schluss sein.

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