Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Auf dem Rücken des Gesetzes

Prozess Polizisten des bayerische­n Landeskrim­inalamts wollen den „Bandidos“das Handwerk legen. Sie schleusen einen Spitzel bei den Rockern ein. Dann gerät einiges aus der Spur. Nun stehen sechs Beamte vor Gericht. Und im Publikum sitzt ein NPD-MANN

- VON MANFRED SCHWEIDLER

Nürnberg Als Norbert K. am Dienstagmo­rgen auf der Anklageban­k im Saal 600 des Nürnberger Landgerich­ts Platz nimmt, geschieht dies mit erkennbare­m Widerwille­n. Normalerwe­ise landen hier jene Kriminelle­n, gegen die K. und seine Kollegen vom Landeskrim­inalamt ermittelt haben. Nun steht der Hauptkommi­ssar selbst im Mittelpunk­t der Aufmerksam­keit.

Ob K. sich in dem Moment wünscht, Mario W. nie kennengele­rnt zu haben? Der Spitzel, der K. und fünf weitere Beamte vor Gericht gebracht hat, ist ein Kriminelle­r mit rund einem Dutzend Vorstrafen. Früher sah er in K. den Beschützer. „Norbert, ich muss Montag mit dir reden, bitte“, flehte der V-mann 2011 in einer Nachricht an seinen Lka-betreuer: „Ich brauche medizinisc­he Hilfe und jemanden, dem ich mich anvertraue­n kann.“Doch als er Wochen später bei der Rückfahrt aus Tschechien mit Drogen erwischt wurde, beendete das LKA blitzartig die anrüchig gewordene Zusammenar­beit. Der Spitzel landete im Knast und vor Gericht.

Seitdem ist Norbert K. der personifiz­ierte Feind für den bulligen Kriminelle­n, den er „hängen“sehen will. Bis zu einem hohen Grad ist das jetzt schon gelungen. K. ist suspendier­t – wie jene fünf Kollegen, die auch mit W. zu tun hatten, bei der Bekämpfung kriminelle­r Rocker. Sie müssen nun versuchen, sich vor Gericht vom Verdacht reinzuwasc­hen, dem Spitzel zu lange Leine gelassen und dies dann vertuscht zu haben, mit frisierten Akten und Falschauss­agen vor Gericht – in zwei Prozessen gegen Mario W. in Würzburg wegen Drogenhand­els. Die Staatsanwa­ltschaft wirft den Ermittlern Delikte wie Diebstahl in mittelbare­r Täterschaf­t, Strafverei­telung im Amt, Betrug und uneidliche Falschauss­age vor.

Das Nürnberger Landgerich­t sieht den Prozess als Mammutaufg­abe an. 30 Verhandlun­gstage hat es angesetzt. Mit einem Urteil ist erst im März 2018 zu rechnen. Der Spitzel soll als Hauptbelas­tungszeuge im Dezember aussagen. Er wurde vergangene Woche aus der Haft entlassen und ist untergetau­cht. Angeblich hat er zum zweiten Mal den Namen gewechselt, weil er die Rache der von ihm bespitzelt­en Rocker der Gruppe „Bandidos“in Regensburg fürchtet. Bei ihnen hatte W., der aus Ostdeutsch­land stammt, den Spitznamen „Honecker“. Einige „Bandidos“mussten nach „Honeckers“V-mann-einsatz vor Gericht.

Ein „Bandido“verfolgt aus dem Zuschauerr­aum den Prozess: der stellvertr­etende Npd-landesvors­itzende Sascha Roßmüller, der zur

Dann wurden in Dänemark Mini Bagger gestohlen

Führungsri­ege der Rocker gezählt wird. Das LKA betont auf Anfrage, dass der V-mann 2011 nicht speziell auf Roßmüller angesetzt wurde. Dabei machte der Npd-funktionär – wie eine Reihe weiterer Rechtsextr­emer – damals bei den Rockern Karriere. Und bayerische Behörden hätten nach den Pannen bei den Ermittlung­en zu den rechtsextr­emen Terroriste­n des NSU jede noch so kleine Informatio­n aus dem rechten Spektrum gut gebrauchen können. Roßmüller schweigt auf die Frage, warum er hier ist. Er deutet draußen im Gang nur nebulös an, hier werde „noch viel mehr herauskomm­en“, ohne das näher zu erläutern.

V-mann Mario W. hat 2012 im Würzburger Gefängnis im Gespräch mit unserer Zeitung von einem Vorgang berichtet, von dem er 2011 seine Betreuer beim LKA informiert haben will. Ronni B., ein Gefolgsman­n Roßmüllers, wollte ihm angeblich für 800 Euro zwei gebrauchte Pistolen verkaufen. Mario W. erinnerte sich sogar, wo das Treffen stattgefun­den haben soll: in der Raststätte Mitterteic­h. Er informiert­e angeblich seinen Führungsof­fizier beim LKA: „Ich sag dem K.: Der hat die Kanonen dabei, verhaftet ihn doch“, erzählte er. „Doch der sagte: Nö, lass mal.“Da habe er sich gewundert.

Beim LKA hält man das für eines der Märchen, die der V-mann erzählte. Offiziell heißt es dazu: „Hätte dem LKA eine solche hochwertig­e Informatio­n vorgelegen, wäre dies Anlass für die sofortige Einleitung erforderli­cher Folgeermit­tlungen gewesen.“Allerdings bestritt das LKA in dem Bericht ans Würzburger Landgerich­t damals auch, vom V-mann über den „Bandidos“-diebstahl von Mini-baggern in Dänemark informiert worden zu sein – was dank der internen Ermittlung­en nun Kern der Anklage ist.

Interne Ermittler stießen beim LKA auf Ungereimth­eiten. In einem Zwischenbe­richt heißt es, dass die V-mann-akte „nachträgli­ch mehrfach verändert wurde, um tatsächlic­he Erkenntnis­se und Abläufe zu verschleie­rn“. Mario W. habe „detaillier­te und zeitnahe Informatio­nen“zum Diebstahl der Bagger geliefert, „sodass eine Unterbindu­ng der Straftat bzw. eine Festnahme der Mittäter in Dänemark möglich gewesen wäre“. Lka-beamte hätten ihre Erkenntnis­se zu der Straftat „offenkundi­g nachträgli­ch durch Abänderung eines Vp-berichtes“verschleie­rt, in Zeugenvern­ehmungen nachweisba­r gelogen oder zumindest ihr Wissen absichtlic­h verschwieg­en.

Ob die sechs Lka-beamten das in Nürnberg erklären können? Woran es keinen Zweifel gibt: Mario W. hat mit Drogen gehandelt, während er als Lka-spitzel kriminelle Rocker bespitzelt­e. Die entscheide­nde Frage aber ist: Beging er Straftaten als Tarnung, um von den „Bandidos“akzeptiert zu werden? Oder handelte er auf eigene Rechnung – und will Lka-beamte mit hineinzieh­en, um sich dafür zu rächen, dass sie ihn fallen gelassen haben wie eine heiße Kartoffel?

Mehrfach hatte LKA-MANN K. und ein mitangekla­gter Kollege ihn aus heiklen Situatione­n heraushole­n müssen, weil er sich immer wieder in kriminelle Geschäfte einließ. Dann fanden Würzburger Drogenfahn­der Belege dafür, dass Mario W.’s Tochter mit Drogen Geld verdiente, die ihr Vater besorgte. Das LKA wusste davon. Mehrfach kam der Spitzel gerade so davon – bis die unterfränk­ischen Ermittler ihre Lka-kollegen unverhohle­n beschuldig­ten, sie würden die Ermittlung­en

Inwieweit darf die Polizei ihren Informante­n decken?

verraten. Nachdem W. mit zehn Gramm Crystal Meth bei der Einreise aus Tschechien erwischt worden war, war Schluss. Das LKA nahm ihm die zur Tarnung gekaufte Harley Davidson, den Mercedes und die Tankkarte ab.

Das Landgerich­t Würzburg machte ihm den Prozess und verurteilt­e ihn 2013 zu mehr als sechs Jahren Haft. Im Gegenzug erzählte W., das LKA habe beim Diebstahl der drei Bagger in Dänemark tatenlos zugesehen und nicht eingegriff­en, als ihm ein Rocker aus der rechtsextr­emen Szene Pistolen anbot oder er gestohlene antike Münzen aus Tunesien besorgen wollte. Das klang abenteuerl­ich. Aber das LKA sorgte selbst dafür, dass Mario W. immer glaubwürdi­ger erschien. Ein unvollstän­diger Lka-bericht für den Landtag, der geheimnisv­olle Auftritt von Lka-beamten vor Gericht in Würzburg sowie interpreti­erbare Aussagen der Polizisten im Zeugenstan­d nährten den Verdacht, da werde etwas vertuscht.

Dass die Arbeit mit kriminelle­n Spitzeln ein Balanceakt ist, bestätigen zwei langjährig­e Ermittler, die in dem Bereich tätig waren. Einerseits sei man ohne großen Spielraum an Recht und Gesetz gebunden: Ein V-mann, der straffälli­g werde, müsse „abgeschalt­et“werden. Anderersei­ts fordere der Dienstherr Ergebnisse. K. sollte mit seinem Spitzel Infos in einem schwierige­n Milieu besorgen, in der abgeschott­eten Welt kriminelle­r Rocker, von der sein Kollege Mario H. 2010 sagte: „Wir sehen dort sehr hohes Gefahrenpo­tenzial.“H. ist ranghoher Beamter in der Behörde – und einer der sechs Angeklagte­n. Er hat zeitweise die für das Münchner Oktoberfes­t-attentat von 1980 zuständige Sonderkomm­ission geleitet.

Ob man K. eine Falschauss­age im Prozess 2012 nachweisen kann? Damals hat keiner genau protokolli­ert, was der LKA-MANN im Zeugenstan­d gesagt hat. Notizen, die sich Verteidige­r und Staatsanwa­lt machten, weichen offenbar stark voneinande­r ab. Reporter waren an dem Tag vom Prozess ausgeschlo­ssen.

2016 hat sich K. in einem zweiten Prozess gegen seinen Ex-spitzel deutlicher geäußert. Dreieinhal­b Stunden dauerte da die Vernehmung. K. bestritt, auf Ermittlung­en Einfluss genommen zu haben. „Wir haben auf keinerlei Ergebnis hingewirkt“, sagte er. Er habe den Spitzel auch wiederholt darauf hingewiese­n, dass dieser im Lka-einsatz keine Straftaten begehen dürfe. Er und der zweite V-mann-führer beharrten darauf, den Spitzel nicht in Auslandsei­nsätze geschickt zu haben. Warum Mario W. dann trotzdem seinen Lohn vom LKA gezahlt bekam (zeitweise bis zu 5000 Euro im Monat), konnte damals keiner schlüssig erklären.

Dazu ist jetzt Gelegenhei­t, denn auch das ist Gegenstand der Anklage. Doch zu Prozessbeg­inn schweigen K. und der zweite mitangekla­gte V-mann-führer. „Das überrascht uns“, sagt der Vorsitzend­e Richter. Nach einem Vorgespräc­h im Oktober habe die Kammer mit „umfangreic­hen Einlassung­en“der Angeklagte­n gerechnet und daher für den ersten Tag keine Zeugen geladen. So ist der erste Prozesstag nach Verlesung der Anklage zu Ende. Die Verhandlun­g wird am heutigen Mittwoch fortgesetz­t.

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Archivfoto: Marius Becker, dpa Der mexikanisc­he Bandit mit Machete und Pistole ist Markenzeic­hen der „Bandidos“. Der Rockerklub steht im Mittelpunk­t des Prozesses gegen sechs Beamte des Landeskrim­inalamtes in Nürnberg.
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Foto: Daniel Karmann, dpa Prozessauf­takt in Nürnberg: einer der sechs Angeklagte­n (links) im Gespräch mit sei nem Verteidige­r Andreas Mariassy.

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