Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Anruf beim Geiselnehmer
Kriminalität Speziell ausgebildete Polizisten verhandeln bei Entführungen oder ähnlichen Fällen mit den Tätern. Einer von ihnen erklärt, worauf es in brenzligen Situationen ankommt
Herr Mergel, haben Sie schon mal mit einem Geiselnehmer telefoniert? Christian Mergel: Nein, zum Glück sind solche Fälle wie die Geiselnahme in Pfaffenhofen an der Ilm am Montag eher die Seltenheit. Von daher hatte ich noch nie persönlich mit einem Geiselnehmer zu tun, aber tatsächlich fällt so etwas in unseren Verantwortungsbereich.
Sie sind Leiter der sogenannten Verhandlungsgruppe des Polizeipräsidiums Schwaben Nord in Augsburg. Was muss man sich darunter vorstellen? Mergel: Wir sind eine Gruppe Polizeibeamter – vom Streifen- bis zum Kriminalpolizisten –, die zusätzlich ausgebildet sind, um bei Geiselnahmen, Entführungen, Erpressungen oder auch kleineren Bedrohungslagen kommunikativ auf den Täter einzuwirken, sprich: mit ihm zu reden und zu versuchen, die Situation mit Worten und vor allem unblutig zu lösen.
Das heißt, Sie versuchen ihn zur Aufgabe zu überreden? Mergel: Zunächst geht es darum, Kontakt mit dem Täter aufzunehmen, mit ihm ins Gespräch zu kommen, die Hintergründe, das Motiv oder die Forderungen herauszufinden und deeskalierend auf ihn einzuwirken. Und dann versuchen wir natürlich auch, die Person in gewisser Weise zu beeinflussen und sie möglicherweise ganz von ihrem Vorhaben abzubringen. Das gilt für einen Entführer genauso wie für eine Person, die an einem Fenster steht und sich umbringen möchte.
Auf Ihnen lastet dann ein ganz schöner Druck, oder? Ein falscher Satz und eine ohnehin schon gefährliche Situation könnte eskalieren … Mergel: Das stimmt, aber das ist ja bei ganz vielen Polizeieinsätzen so. Es kann immer passieren, dass ein Gegenüber plötzlich aufbraust oder einfach nicht so reagiert, wie man es erwartet. Natürlich ist eine Geiselnahme noch mal eine etwas andere Situation, in der man möglicherweise noch mehr unter Druck steht. Aber das gehört zu unserem Job und macht in gewisser Weise ja auch den Reiz aus. Die Erleichterung, wenn unser Einsatz etwas gebracht hat, ist dafür umso schöner.
Bei der Geiselnahme in Pfaffenhofen nahmen Ihre oberbayerischen Kollegen per Telefon Kontakt zum Geiselneh- mer auf. Ist das so einfach? Man ruft einfach mal an und schaut, was passiert? Mergel: Das hängt immer von der Situation ab, von den beteiligten Personen, von den räumlichen Gegebenheiten. In erster Linie ist wichtig, dass nicht noch weitere Personen, also auch Polizeibeamte, in Gefahr geraten. Der Versuch mit dem Telefon kann aber tatsächlich eine einfache und in manchen Fällen sogar die beste Möglichkeit sein.
Welche Voraussetzungen muss ein Polizist mitbringen, um in die Verhandlungsgruppe zu kommen? Mergel: Für die Mitglieder der Verhandlungsgruppe gibt es zu Beginn eine dreiwöchige Schulung und dann jährliche Fortbildungsmaßnahmen. Dabei werden verschiedene Szenarien besprochen, durchgespielt und geübt.
In drei Wochen kann ich lernen, wie ich einen Geiselnehmer zur Aufgabe überrede, der gerade einer Frau ein Messer an den Hals hält? Mergel: Wie gesagt: Kritische Situationen und den Umgang mit – auch kriminellen – Menschen kennt jeder Polizist aus dem Alltag. In der Zusatzausbildung wird das vertieft. Man lernt, schlagfertig zu sein, auf Menschen in Stresssituationen einzugehen, ihnen Lösungswege aufzuzeigen. Zudem sind die Mitglieder der Verhandlungsgruppe in der Regel erfahrene Kollegen. Ein Berufsanfänger wird natürlich nicht gleich zur Verhandlung mit einem Geiselnehmer geschickt.
Interview: Michael Böhm
Christian Mergel, 41, ist Leiter der Verhandlungs gruppe des Polizeipräsidi ums Schwaben Nord in Augsburg.