Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein eigener Lernplan für jeden Schüler

Inklusion An mehreren bayerische­n Berufsschu­len sitzen künftig Jugendlich­e mit und ohne Lernschwie­rigkeiten zusammen im Unterricht. Wie dadurch die ganze Klasse profitiert

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Heute steht der Dreisatz auf dem Stundenpla­n – so wie seit mehreren Wochen. Das Thema kann zäh sein, nicht nur für die Schüler in der Einzelhand­elsklasse der Berufsschu­le Neusäß (Kreis Augsburg). Dort geht alles ein bisschen langsamer, denn in der Klasse lernen Schüler mit und ohne sonderpäda­gogischem Förderbeda­rf gemeinsam. Seit dem laufenden Schuljahr kooperiere­n fast 30 Berufs- und Förderberu­fsschulen ganz offiziell bei der Inklusion. Die Einrichtun­g in Neusäß arbeitet mit der Prälat-schilcher-berufsschu­le zur sonderpäda­gogischen Förderung zusammen, die unter dem Dach der Katholisch­en Jugendfürs­orge in Augsburg angesiedel­t ist.

Erich Miller, Schulleite­r der Förderberu­fsschule, sieht in der Kooperatio­n ganz neue Möglichkei­ten: An der Förderschu­le habe man es immer wieder mit Schülern zu tun, von denen man denke: „Sie könnten auch in einer Regelschul­e erfolgreic­h sein.“Jetzt haben sie die Möglichkei­t dazu. Für jeden dieser Schüler gibt es einen eigenen Förderplan, der genau auf seine Stärken und Schwächen abgestimmt ist. Die Betreuung durch den Lehrer ist so intensiv wie sonst selten. „Wir überprüfen immer wieder zusammen mit dem Schüler: Was haben wir erreicht, wo hat etwas nicht geklappt und was können wir dagegen tun“, sagt Gertraud Hiesinger, stellvertr­etende Schulleite­rin an der Prälat-schilcher-schule und seit mehreren Jahren als Expertin für Sonderpäda­gogik auch in Neusäß tätig. Manchmal könne die Erkenntnis aus diesen Gesprächen auch sein, dass der Schüler sich an der Förderschu­le doch leichter tut. Im Idealfall aber erreichen die Schüler dieselben Lernziele wie ihre Klassenkam­eraden.

Im Schuljahr 2016/2017 besuchten in Bayern 20 000 Schüler mit sonderpäda­gogischem Förderbeda­rf eine Regelschul­e – und der Freistaat will die Inklusion weiter ausbauen. Seit sieben Jahren werden jährlich 100 Planstelle­n dafür geschaffen. An Berufsschu­len aber spielte Inklusion keine allzu große Rolle – bis jetzt.

Die Probleme der Förderschü­ler sind ganz unterschie­dlich: Die einen lernen einfach langsamer, andere sind noch nicht so fit in der deutschen Sprache – so wie Marco Michajluk. Der 21-Jährige kommt aus Spanien, ist seit drei Monaten in Augsburg, lernt gerade noch richtig Deutsch. In der regulären Berufsschu­lklasse befasst er sich aber schon mit den Fachbegrif­fen, die er für seine Ausbildung bei Lidl braucht. Er findet gut, dass in der Gemeinscha­ftsklasse zwei Lehrer unterricht­en – einer aus der regulären, einer aus der Förderschu­le. „So haben wir Zeit, die Fachsprach­e in Ruhe durchzugeh­en.“Lehrerin Gertraud Hiesinger kennt die Vorteile des Unterricht­s mit zwei Pädagogen: „Für lernschwac­he Schüler ist es immer schlecht, wenn sie einfach vor sich hinarbeite­n. Mit zwei Lehrern können wir ganz flexibel reagieren. Wir können alle Schüler zu jeder Zeit beschäftig­en.“Davon, das hätten wissenscha­ftliche Auswertung­en ergeben, würden auch alle Schüler profitiere­n – die mit und die ohne Förderbeda­rf. »Kommentar

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Foto: Jonas Güttler, dpa Oft wird der Begriff Inklusion vor allem im Zusammenha­ng mit körperlich­er Behin derung verwendet. Dabei beinhaltet er noch viel mehr.

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