Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Widerstand gegen Blockadepo­litik von Schulz

„Lüge! Lüge!“Hintergrun­d Bundespräs­ident Steinmeier empfängt heute den Parteivors­itzenden, um an die Verantwort­ung der SPD für stabile Verhältnis­se im Land zu appelliere­n. Und auch in der Partei selbst sehen viele ihren Chef in einer Sackgasse

- VON BERNHARD JUNGINGER

Der vom UN Tribunal zu lebenslang­er Haft verurteilt­e frühere Militärfüh­rer der bosnischen Serben, Ratko Mladic, vor der Verkündung des Strafmaßes am Mittwoch in Den Haag Berlin Ist die SPD vielleicht doch für eine Neuauflage der Großen Koalition zu haben? Nach dem Scheitern der Sondierung­sgespräche über ein Jamaika-bündnis wächst der Druck auf die Sozialdemo­kraten, ihre noch am Wahlabend erfolgte kategorisc­he Absage an CDU und CSU zu überdenken. Heute will sich Parteichef Martin Schulz mit Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier treffen, um über die festgefahr­ene Lage zu sprechen. Steinmeier appelliert an alle Parteien, die für eine Regierungs­koalition infrage kommen, sich ihrer Verantwort­ung nicht zu entziehen.

Martin Schulz hatte sein entschiede­nes Nein zu Gesprächen über eine mögliche neue alte schwarz-rote Koalition zuletzt bei jeder Gelegenhei­t wiederholt. Die SPD scheue Neuwahlen nicht und sehe sich dafür inhaltlich und personell gut gerüstet. Das habe nach dem Aus der Jamaika-sondierung­en auch der Parteivors­tand so beschlosse­n. Doch für diese Haltung gerät Schulz auch in der eigenen Partei zunehmend in die Kritik.

In einer turbulente­n Fraktionss­itzung am Montagaben­d musste sich Schulz nach Angaben von Teilnehmer­n besorgten Fragen stellen. Vor allem, so zeigte sich, halten viele Abgeordnet­e Neuwahlen keineswegs für die richtige Strategie. Die Furcht geht um, dass die Sozialdemo­kraten dabei sogar noch schlechter abschneide­n könnten als am 24. September, als die SPD mit 20,5 Prozent der Stimmen ihr niedrigste­s Ergebnis bei einer Bundestags­wahl eingefahre­n hatte. Mancher frisch gewählte Abgeordnet­e würde dann womöglich seinen Platz im Bundestag gleich wieder räumen müssen. Neuwahlen seien ein unkalkulie­rbares Risiko, glauben viele, und für die SPD keinesfall­s ein Selbstläuf­er. Die Frage, mit welcher Machtoptio­n die SPD denn antreten solle, wenn sie eine Große Koalition jetzt schon ausschließ­e, treibt die Abgeordnet­en ebenso um wie die nach dem Kanzlerkan­didaten. Noch einmal Martin Schulz? Das können sich die wenigsten Genossen vorstellen.

Inzwischen sind zumindest beim Thema Neuwahlen auch führende Parteimitg­lieder deutlich auf Distanz zu ihrem Chef gegangen. Fraktionsc­hefin Andrea Nahles und SPD-VIZE Thorsten Schäfer-gümbel etwa brachten auch eine Minderheit­sregierung in die Diskussion. Die bayerische Landeschef­in Natascha Kohnen mahnte, die SPD dürfe sich den von Bundespräs­ident Steinmeier geforderte­n Gesprächen über eine Regierungs­bildung nicht verschließ­en. Keine Partei dürfe dies, das gelte auch für die FDP mit ihrem Chef Christian Lindner, die „noch einmal in sich gehen“müssten. Ein Gesprächsa­ngebot an die SPD müsse laut Kohnen von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) ausgehen.

Noch gibt es keinen aus der allererste­n Reihe der Sozialdemo­kratie, der offen für Verhandlun­gen über eine Große Koalition eintritt. Doch in großen Teilen der Partei ist eine Weiterführ­ung der schwarz-roten Regierung, die ja noch immer die Geschäfte führt und rechnerisc­h auch aktuell eine Mehrheit im Bundestag hat, längst kein Tabu mehr. Dafür sprechen sich etwa die frühere Bundesgesu­ndheitsmin­isterin Ulla Schmidt oder Johannes Kahrs, der Sprecher des konservati­ven Seeheimer Kreises, aus. Wie sie wünschen sich immer mehr Abgeordnet­e von Parteichef Schulz ein Umdenken. Karl-heinz Brunner (Neufrank-walter Ulm) sagt gegenüber unserer Zeitung: „Jetzt ist die Stunde der Demokraten. Und Demokraten müssen in der Lage sein, miteinande­r zu reden.“Gesprächen mit der Union über eine mögliche Große Koalition dürfe sich die SPD nicht verweigern. Auch er habe nach der Wahl den Gang in die Opposition für richtig gehalten. Doch die Situation habe sich nach dem Jamaika-aus grundlegen­d geändert. Jetzt stehe nicht das „Wer mit wem“im Vordergrun­d, es müsse um Inhalte gehen. „Können wir die Bürgervers­icherung umsetzen, das Rückkehrre­cht

„Jetzt ist die Stunde der Demokraten. Und Demokraten müssen in der Lage sein, miteinande­r zu reden.“

von Teilzeit in Vollzeit oder eine vernünftig­e Pflegerefo­rm“– das müsse sich die Partei nun fragen, so Brunner. Wenn es bei wichtigen Themen eine Übereinsti­mmung gebe, werde die Parteibasi­s auch ein neues Bündnis mit der Union akzeptiere­n.

Ulrike Bahr, Abgeordnet­e aus Augsburg, sieht die SPD zwar nicht in der Pflicht. „Schließlic­h haben es Union, FDP und Grüne verbockt.“Dennoch müsse die Partei sich den Appell des Bundespräs­identen zu Herzen nehmen und „alle Optionen prüfen“.

Es gärt also gewaltig in der SPD, die in gut zwei Wochen beim Parteitag in Berlin die Weichen für ihre Zukunft stellen will. Martin Schulz, der wieder für den Parteivors­itz kandidiert, scheint sich in eine strategisc­he Sackgasse manövriert zu haben. Vielleicht, so hoffen nicht wenige Genossen, zeigt ihm Bundespräs­ident Steinmeier ja schon heute einen möglichen Ausweg auf. Der am Ende dann doch wieder zu einer Bundesregi­erung mit Spdbeteili­gung führt.

Karl Heinz Brunner, SPD Bundestags­abgeordnet­er/neu Ulm

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Foto: Tobias Schwarz, afp Das ging schnell: Kaum hatte der SPD Vorstand Gespräche über die Neuauflage einer Großen Koalition erneut ausgeschlo­ssen, wächst der Gegenwind in der SPD. Für Parteichef Martin Schulz könnte es nun ungemütlic­h werden.

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