Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Erdogan erklärt Jeans den Krieg

Türkei Am Bosporus ist eine absurde Debatte um das weltweit bekanntest­e Beinkleid entbrannt. Dient die Hose konspirati­ven Zwecken?

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Der Feind lauert überall. Seit dem Putschvers­uch in der Türkei vor anderthalb Jahren jagt die Regierung mutmaßlich­e Aufrührer überall im Land und auch außerhalb der türkischen Grenzen – doch nach Ansicht einiger Anhänger von Präsident Recep Tayyip Erdogan sind die Staatsfein­de nach wie vor höchst aktiv. So berichtete die islamistis­che Zeitung jetzt über angebliche Geheimbots­chaften von Regierungs­gegnern und feindliche­n Agenten, die in Jeanshosen versteckt sein sollen: Die „Ripped Denim“-mode mit ihren zerrissene­n Beinkleide­rn ist demnach keine Modeersche­inung, sondern ein Werkzeug staatsfein­dlicher Aktivitäte­n.

Wie im Westen gehören die auf alt getrimmten „Ripped Denim“-jeans mit ihren Schlitzen, Rissen und klaffenden Löchern auch in den großen Städten der Türkei zum Straßenbil­d. Bisher hat sich niemand groß daran gestört, doch das ist laut ein Fehler. Unter Berufung auf „Geheimdien­stquellen“meldete das Blatt, die Anordnung der Löcher in den zerrissene­n Jeans diene westlichen Spionen und ihren türkischen Kollaborat­euren als Mittel der Nachrichte­nübertragu­ng. Demnach handelt es sich bei den modischen Löchern in Wirklichke­it um subversive textile Morsezeich­en. Mit ihnen würden brisante Informatio­nen weitergege­ben.

Die absurde Jeans-panik ist nicht der einzige Auswuchs eines wachsenden Verfolgung­swahns seit dem Putschvers­uch, für den die Regierung den islamische­n Prediger Fethullah Gülen verantwort­lich macht. Gülens Bewegung, deren Mitglieder vor dem Putsch in vielen staatliche­n Institutio­nen zu finden waren, lauert der Regierung zufolge ständig auf neue Gelegenhei­ten zur Destabilis­ierung der Türkei und kooperiert dabei mit dem westlichen Ausland. Längst lässt die Angst vor Gülen die Verschwöru­ngstheorie­n ins Kraut schießen – mit merkwürdig­en, aber für die Betroffene­n mitunter durchaus ernsten Folgen.

So nahm die Polizei im Sommer in mehreren Landesteil­en nichts ahnende Bürger fest, weil diese ein T-shirt trugen, mit dem ein Angeklagte­r in einem Gülenisten-prozess aufgefalle­n war. Der beschuldig­te Ex-offizier trug ein T-shirt mit der Aufschrift „Hero“(Held), was als Provokatio­n aufgefasst wurde. Das T-shirt verschwand zwar sofort aus dem Sortiment, doch viele Türken hatten es bereits gekauft – und sahen sich plötzlich dem Vorwurf staatsfein­dlicher Umtriebe ausgesetzt. In einem Fall wurde ein Mann laut Medienberi­chten drei Stunden von der Antiterror-polizei verhört, weil er ein Batman-hemd mit der Aufschrift „Hero“trug.

Angebliche Geheimbots­chaften erblickten türkische Ermittler auch in Us-banknoten. Mutmaßlich­e Gülen-anhänger benutzten amerikanis­che Ein-dollar-scheine laut Polizei als eine Art Mitgliedsa­usweis ihrer Bewegung. Ähnlich steht es mit bestimmten Buchstaben­kombinatio­nen auf Nummernsch­ildern türkischer Autos. Nach dem Putschvers­uch trennten sich viele Türken von Nummernsch­ildern, auf denen die Buchstaben­folge „FG“zu lesen war: FG könnte schließlic­h als Anspielung auf Fethullah Gülen verstanden werden.

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Foto: dpa Einfach nur verschliss­en oder eine sante politische Botschaft? bri

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