Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

John Burnsides Scheheraza­de

Lebenspoet mit harter Amerika-kunde

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Einen seltsamen Deal bietet die alte Jean der jungen Kate an: Ihre Familienge­schichte gegen deren Alkoholabs­tinenz. Denn Kate hat Probleme, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen. Nach dem gewaltsame­n Tod ihres Vaters hat sie ihr Studium geschmisse­n und lebt in einer schwierige­n Beziehung mit dem exzentrisc­hen Lauritz. Dass Kate sich auf den Deal einlässt, ist ein erster Schritt in ein neues Leben.

John Burnside erzählt in dieser neuen Scheheraza­de-adaption kein Märchen, sondern mit Jeans Familiensa­ga (eine verlorene Geliebte, der Neffe im Krieg verscholle­n, die Nichte im revolution­ären Untergrund) auch die Geschichte Amerikas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts. Und vor allem: die verstörend­en Tiefpunkte wie das Massaker von My Lai im Vietnamkri­eg, die Kommuniste­nhatz der MccarthyÄr­a und die bombenden Weathermen.

Im engen Austausch mit Jean gewinnt Kates Leben wieder eigene Konturen. Wie ihr Freund Lauritz hatte sie mehr in einer Inszenieru­ng als in der Realität gelebt. Es geht um viel in diesem meisterhaf­t geschriebe­nen Roman: um Identität und Idealismus, um Liebe und Engagement. Vor allem aber geht es um die Macht der Erzählung und die erlösende Kraft des Zuhörens.

John Burnside liefert keine Gewissheit­en, er lässt den Lesern viele Freiräume, die sie mit ihrer eigenen Fantasie füllen können.

Übs. Bernhard Robben, Knaus, 413 Seiten, 24 Euro

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John Burnside: Ashland Vine.

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