Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sie helfen Familien im Notfall

Soziales Wenn Mütter oder Geschwiste­rkinder schwer erkranken, springen sie ein: die Expertinne­n der Augsburger Familienpf­legestatio­n. Doch 70 Jahre nach seiner Gründung steht der Verein selbst vor einer Krise

- VON STEFANIE SCHOENE

Bis Mai dieses Jahres lief bei Familie Ziegler alles nach Plan. So weit man den Alltag einer Familie mit zwei Kleinkinde­rn eben so planen kann: Die Mutter arbeitete im Vertrieb, der Vater als Führungsco­ach einer großen Firma, die ältere Tochter Sophie*, 5, ging in den Kindergart­en, die Dreijährig­e sollte ab Herbst ebenfalls in die Kita. Und für die letzten Wochen vor der Geburt des dritten Kindes stand der Umzug in ein größeres Haus im Augsburger Umland an.

Doch im Mai erkrankte Sophie. Erst diagnostiz­ierten die Ärzte Mumps, dann Pfeiffersc­hes Drüsenfieb­er. Ein paar Wochen später fuhren die Eltern mit ihr ins Klinikum. Die inneren Organe, vor allem die Niere, waren stark vergrößert, es stand nicht gut. Dann die Diagnose: Leukämie. Beinahe vier Wochen blieb sie in der Klinik, ein Elternteil immer dabei. In dieser Zeit wurde zudem der kleine Max geboren. Stefan Ziegler nahm acht Wochen Elternzeit, um sich um seine Frau, das Baby, Sophie, die jüngere Tochter und um den Umzug zu kümmern.

Seit September legen Sophies Gesundheit­szustand und ihr strenger Therapiepl­an im neuen Haus ein Korsett um den Alltag der Familie. Zwar ist Sophie zu Hause. Doch das bedeutet auch, auf eine beinah klinische Hygiene zu achten und für Untersuchu­ngen oder Infusionen bis zu vier Mal pro Woche ins Kinderkreb­szentrum zu fahren. Sind Blutbild oder Gesamtzust­and schlecht, reagieren die Ärzte kurzfristi­g und das Mädchen bleibt je nach Komplikati­on eine oder auch mehrere Nächte auf Station. Eine schwierige für alle. „Die Therapie hat auch erhebliche Nebenwirku­ngen. Sophie konnte während der letzten sechs Wochen nicht gehen oder stehen. Das kann man als Eltern schwer ertragen“, erklärt Ziegler. „Seit drei Monaten beschränkt sich unser Aktionsrad­ius dementspre­chend auf Supermarkt, Haus und Klinikum.“Die Familie rotiert.

Eine Woche nach Sophies Diagnose, so Ziegler, kam die Familienpf­legerin Hildegard Just. „Unsere Rettung. Sie kommt seitdem immer, wenn einer von uns mit Sophie ins Krankenhau­s fährt.“Das kann für vier Stunden sein, aber auch für einen ganzen Tag. Hildegard Just ist beim Familienpf­legewerk mit 15 Stunden Wochenarbe­itszeit angestellt. Sie lernte Hauswirtsc­hafterin und schloss mit einer zweijährig­en Zusatzausb­ildung zur staatlich anerkannte­n Familienpf­legerin ab. Nur weil ihre eigenen drei Kinder inzwischen erwachsen sind, kann sie die Flexibilit­ät für die Einsätze bei den Zieglers aufbringen.

Bei den Zieglers lief der Kontakt zur Familienpf­legestatio­n über das dichte Netzwerk aus sozialen, medizinisc­hen und Wohlfahrts-institutio­nen, das die Stadt umspannt. „Die Jugendämte­r, der städtische Hausbesuch­sdienst Koki und der Bunte Kreis arbeiten eng mit uns zusammen und empfehlen uns“, erläutert Brigitte Hansbauer, Einsatzlei­terin der Station in Augsburg, die zum Familienpf­legewerk des Bayerische­n Landesverb­andes des Katholisch­en Deutschen Frauenbund­es (KDFB) gehört. Seit 70 Jahren existiert die Station. Sie unterstütz­t Familien, in denen Mütter oder Kinder schwer erkrankt sind.

Die Vereinsgrü­ndung geht zu- auf eine Initiative Augsburger Frauen, die sich um das „Lager A“am Oblatterwa­ll kümmerten, in dem ab 1947 sudetendeu­tsche Flüchtling­e einquartie­rt wurden. Sie kochten, pflegten die Säuglinge, nähten und strickten. In den 50er Jahren organisier­te der Verein Eheberatun­gen, Staatsbürg­erkunde, Hausfrauen­nachmittag­e, Landfrauen­tage und eine Nähstube am Juzeit denberg. Heute werden die fünf Familienpf­legerinnen und fünf -helferinne­n des Vereins bei Risikoschw­angerschaf­ten, körperlich und psychische­n Erkrankung­en sowie Reha-maßnahmen in Familien eingesetzt. Ein Arzt verordnet, die Krankenkas­sen zahlen – dies allerdings nur zu zwei Dritteln kostendeck­end, wie Hansbauer erklärt. Das bringt Verein und Mitarbeite­rück rinnen oft an den Rand des Leistbaren. Das zweite Standbein, das sich seit 2002 entwickelt hat, sind „Haushaltso­rganisatio­nstraining­s“. Diese werden für Familien, in denen „Land unter“herrscht, von Jugendhilf­eträgern und Jugendämte­rn angeordnet und finanziert.

Hansbauer und ihre Mitarbeite­rinnen führen kaum Buch über ihre Mehrarbeit. „Das ist ja kein Job, bei dem man um 17 Uhr den Schalter umlegt“, sagt sie. Maria Tyroller, seit 1998 Vorsitzend­e des Augsburger Vereins, erklärt, wie sich die Strukturen in den letzten 15 Jahren verändert haben. Oft fehlten eigene Netzwerke und die Verwandtsc­haft vor Ort. Auf den Müttern laste durch ihre Berufstäti­gkeit häufig ein besonderer Druck. Die Zahl der betreuten Familien verfünffac­hte sich seit 2005 und stieg von 39 Familien mit 100 Kindern auf 149 mit 471 Kindern im Jahr 2015. Qualifizie­rtes Personal zu finden ist, wie in vielen sozialen Berufen, derzeit ein Glücksspie­l. Hinzu kommt eine chronische Unterfinan­zierung. „Die Kassen zahlen uns nur die Zeiten, in denen die Kinder nicht in Kitas und Schulen, sondern zu Hause sind. Wir müssen die Dienste teilen. Heute sind 30 Prozent unserer Familienpf­legekosten nicht gedeckt. Spenden fließen zwar, sind aber nicht planbar“, erläutert Tyroller.

Für Hildegard Just ist die Arbeit trotzdem erfüllend. Sie will helfen. Dass das Gehalt eher bescheiden ausfällt, nimmt sie hin. Stefan Ziegler jedenfalls ist heilfroh, dass es Familienpf­legerinnen wie sie gibt: „Ohne Frau Just wären wir längst im Chaos versunken“. *Kindername­n auf Wunsch der Familie von der Redaktion geändert

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Foto: privat Hildegard Just ist als Familienpf­legerin stark gefordert. Hier kümmert sie sich um die Kinder der Familie Ziegler.

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