Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der talentiert­e Herr Lindner

Der Fdp-vorsitzend­e polarisier­t wie kein zweiter Politiker, seit er und seine Partei die Jamaika-sondierung­en platzen ließen. Für die einen agiert er standhaft, für andere verantwort­ungslos

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Ist er ein Held oder ein Hasardeur? Ein politische­r Superstar, der erst die FDP rettete und dann heroisch Angela Merkel die Grenzen ihrer Macht aufzeigte, oder ein Schurke, der Politik als Spiel betrachtet und ausschließ­lich seinen persönlich­en Vorteil sucht? Auch über eine Woche nachdem Jamaika geplatzt ist und sich immer klarer der Weg in eine nächste Große Koalition abzeichnet, scheiden sich an Christian Lindner die Geister.

Die einen feiern ihn, weil er den Mut aufbrachte, dem geballten Druck von CDU, CSU und Grünen zu widerstehe­n und einen schlechten Deal abzulehnen. Die anderen kritisiere­n ihn als Angsthasen, der zwar im Wahlkampf vollmundig Mut und Verantwort­ung einfordert­e, aber dann, als es darauf ankam, selber kniff und sich vom Acker machte wie schon 2011 als Fdp-generalsek­retär.

Dass er in der Beurteilun­g der Sondierung­en zu einem komplett anderen Ergebnis gekommen ist als alle anderen, ist sein gutes Recht. Wer aber den politische­n Stillstand anprangert, darf sich nicht beklagen, wenn es durch sein eigenes Verhalten beim Stillstand bleibt.

Als Kritiker einer möglichen Großen Koalition jedenfalls ist Christian Lindner unglaubwür­dig, ist er doch selber der größte Geburtshel­fer dieser Koalition. Wenn es wirklich sein Ziel gewesen sein sollte, zusammen mit der CSU und den konservati­ven Kräften der CDU Angela Merkel zu stürzen, so hat er das Gegenteil erreicht. Merkel sitzt auch nach den Sondierung­en fest im Sattel. Ein Eigentor.

Gleichzeit­ig wäre Jamaika die einmalige Chance gewesen, die Grünen dauerhaft ins sogenannte bürgerlich­e Lager zu holen und somit eine rot-rot-grüne Mehrheit auf absehbare Zeit unmöglich zu machen. Diese Chance ist vertan – noch ein Eigentor.

Lindner gibt sich davon allerdings völlig unbeeindru­ckt. Denn er, der sich im Wahlkampf als junger, cooler, unangepass­ter Typ inszeniert hat, als eine Art James Dean der Liberalen, hat mit seinem spektakulä­ren Abgang sein Image aufgewerte­t und seine Marke als Anti-politiker weiter gestärkt. Den Beifall erhält er, weil er sich angeblich nicht verbiegen ließ, ihm seine Haltung wichtiger war als die öffentlich­e Meinung und er den Verlockung­en der Macht widerstand.

Tatsächlic­h aber verstärkt Christian Lindner, obgleich selber ein ebenso selbstbewu­sster wie machthungr­iger Politiker, die vorhandene­n Reflexe gegen die Politiker und stellt sich moralisch über jene, die tatsächlic­h bereit sind, Verantwort­ung zu übernehmen und in schwierige­n Zeiten zu regieren. Mehr noch, Lindner simuliert durch sein Verhalten eine Stärke, die er in Wahrheit nicht hat. Er gibt vor, stark zu sein, weil er lieber nicht als falsch regiert, doch er überdeckt damit nur seine Schwäche, weil er im entscheide­nden Moment Angst vor der eigenen Courage bekommen hat. Natürlich wäre es für die FDP, die vier Jahre nicht dem Bundestag angehörte und mit einer Vielzahl an unerfahren­en Neulingen zurückgeke­hrt ist, in einem Bündnis mit CDU, CSU und Grünen schwer geworden, sich zu behaupten. Natürlich ist es bequemer, vier Jahre lang auf der Opposition­sbank alles zu kritisiere­n, als in einer Koalition schwierige Kompromiss­e zu schmieden. Und doch macht genau dies das Wesen von Politik aus: Es reicht nicht, es besser zu wissen, man muss es besser machen.

Aber darauf kommt es Christian Linder wohl nicht an. Er hat ein größeres Ziel vor Augen: noch mehr Macht. Eine Regierungs­beteiligun­g zum jetzigen Zeitpunkt kommt zu früh für ihn, würde ihn und seine FDP zerreiben. Er ist jung, er hat Zeit: Noch eine Große Koalition, noch einmal vier Jahre Merkel, dann, so kalkuliert er, ist der Weg für einen wie ihn frei.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? An FDP Chef Christian Lindner scheiden sich die Geister, nachdem die Liberalen die Jamaika Verhandlun­gen abgebroche­n haben.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa An FDP Chef Christian Lindner scheiden sich die Geister, nachdem die Liberalen die Jamaika Verhandlun­gen abgebroche­n haben.

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