Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der talentierte Herr Lindner
Der Fdp-vorsitzende polarisiert wie kein zweiter Politiker, seit er und seine Partei die Jamaika-sondierungen platzen ließen. Für die einen agiert er standhaft, für andere verantwortungslos
Ist er ein Held oder ein Hasardeur? Ein politischer Superstar, der erst die FDP rettete und dann heroisch Angela Merkel die Grenzen ihrer Macht aufzeigte, oder ein Schurke, der Politik als Spiel betrachtet und ausschließlich seinen persönlichen Vorteil sucht? Auch über eine Woche nachdem Jamaika geplatzt ist und sich immer klarer der Weg in eine nächste Große Koalition abzeichnet, scheiden sich an Christian Lindner die Geister.
Die einen feiern ihn, weil er den Mut aufbrachte, dem geballten Druck von CDU, CSU und Grünen zu widerstehen und einen schlechten Deal abzulehnen. Die anderen kritisieren ihn als Angsthasen, der zwar im Wahlkampf vollmundig Mut und Verantwortung einforderte, aber dann, als es darauf ankam, selber kniff und sich vom Acker machte wie schon 2011 als Fdp-generalsekretär.
Dass er in der Beurteilung der Sondierungen zu einem komplett anderen Ergebnis gekommen ist als alle anderen, ist sein gutes Recht. Wer aber den politischen Stillstand anprangert, darf sich nicht beklagen, wenn es durch sein eigenes Verhalten beim Stillstand bleibt.
Als Kritiker einer möglichen Großen Koalition jedenfalls ist Christian Lindner unglaubwürdig, ist er doch selber der größte Geburtshelfer dieser Koalition. Wenn es wirklich sein Ziel gewesen sein sollte, zusammen mit der CSU und den konservativen Kräften der CDU Angela Merkel zu stürzen, so hat er das Gegenteil erreicht. Merkel sitzt auch nach den Sondierungen fest im Sattel. Ein Eigentor.
Gleichzeitig wäre Jamaika die einmalige Chance gewesen, die Grünen dauerhaft ins sogenannte bürgerliche Lager zu holen und somit eine rot-rot-grüne Mehrheit auf absehbare Zeit unmöglich zu machen. Diese Chance ist vertan – noch ein Eigentor.
Lindner gibt sich davon allerdings völlig unbeeindruckt. Denn er, der sich im Wahlkampf als junger, cooler, unangepasster Typ inszeniert hat, als eine Art James Dean der Liberalen, hat mit seinem spektakulären Abgang sein Image aufgewertet und seine Marke als Anti-politiker weiter gestärkt. Den Beifall erhält er, weil er sich angeblich nicht verbiegen ließ, ihm seine Haltung wichtiger war als die öffentliche Meinung und er den Verlockungen der Macht widerstand.
Tatsächlich aber verstärkt Christian Lindner, obgleich selber ein ebenso selbstbewusster wie machthungriger Politiker, die vorhandenen Reflexe gegen die Politiker und stellt sich moralisch über jene, die tatsächlich bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und in schwierigen Zeiten zu regieren. Mehr noch, Lindner simuliert durch sein Verhalten eine Stärke, die er in Wahrheit nicht hat. Er gibt vor, stark zu sein, weil er lieber nicht als falsch regiert, doch er überdeckt damit nur seine Schwäche, weil er im entscheidenden Moment Angst vor der eigenen Courage bekommen hat. Natürlich wäre es für die FDP, die vier Jahre nicht dem Bundestag angehörte und mit einer Vielzahl an unerfahrenen Neulingen zurückgekehrt ist, in einem Bündnis mit CDU, CSU und Grünen schwer geworden, sich zu behaupten. Natürlich ist es bequemer, vier Jahre lang auf der Oppositionsbank alles zu kritisieren, als in einer Koalition schwierige Kompromisse zu schmieden. Und doch macht genau dies das Wesen von Politik aus: Es reicht nicht, es besser zu wissen, man muss es besser machen.
Aber darauf kommt es Christian Linder wohl nicht an. Er hat ein größeres Ziel vor Augen: noch mehr Macht. Eine Regierungsbeteiligung zum jetzigen Zeitpunkt kommt zu früh für ihn, würde ihn und seine FDP zerreiben. Er ist jung, er hat Zeit: Noch eine Große Koalition, noch einmal vier Jahre Merkel, dann, so kalkuliert er, ist der Weg für einen wie ihn frei.