Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Verfemte Sportler
Geschichte Die Rolle jüdischer Athleten im deutschen Sport vor 1945 wird erst allmählich erforscht. Ein Blick in unsere Region
Irsee Ja, es gab nach Ende des Zweiten Weltkrieges drängendere und dramatischere Forschungsfelder zum Judentum in Deutschland. Aber dass die Rolle von Sportlern jüdischer Herkunft bis zur Jahrtausendwende von Historikern nahezu unbearbeitet geblieben ist, verwundert doch. Im Zuge des allgemeinen Aufschwungs der Sportgeschichtsschreibung ist seither einiges geschehen. Doch im regionalen und lokalen Bereich haben entsprechende Forschungsaktivitäten gerade erst den Startblock verlassen. Dies wurde jetzt bei der 11. Sporthistorischen Konferenz der Schwabenakademie im Kloster Irsee deutlich.
Akademie-direktor Markwart Herzog, der die hoch angesehenen Symposien in der ehemaligen Benediktinerabtei bei Kaufbeuren etabliert hat, ging heuer aufgrund des Themas eine Kooperation mit der Heimatpflege des Bezirks Schwaben ein. So war die Sportkonferenz gleichzeitig Fortsetzung der traditionsreichen „Tagungen zur Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben“. Dritter im Bunde war das Jüdische Museum in München, das deutsche Sportler mit jüdischen Wurzeln derzeit in den Mittelpunkt einer Sonderausstellung stellt. Angesichts der Konstellation führte die Tagung mit namhaften Referenten sowohl in die große Welt des Sports – und in die schwäbische Provinz.
Auf Initiative von Bezirksheimatpfleger Peter Fassl hatten mehrere Fachleute in heimatlichen Archiven und Sammlungen der Region nach jüdischen Sportlern, ihren Erfolgen, ihrer Bedeutung und ihrem Schicksal nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten recherchiert. Dabei sind sie durchweg auf eine stark lückenhafte Quellenlage gestoßen: Selten haben die Unterlagen eines Sportvereins die vielen Vorstandswechsel oder Querelen im Laufe der Jahrzehnte unbeschadet überstanden. Sie hätten aber auch eine große Aufgeschlossenheit für dieses Thema bei Sportvereinigungen und Zeitzeugen erfahren, berichteten die Referenten.
Echte Pionierarbeit mit überraschenden Zwischenergebnissen leistete etwa Anton Kapfer vom Förderkreis der Synagoge Binswangen. Er stellte fest, dass die Verhältnisse in den Landgemeinden Binswangen und Buttenwiesen (Landkreis Dillingen), die beide lange Zeit stattliche jüdische Gemeinden aufwiesen und keine 20 Kilometer voneinander entfernt liegen, grundverschieden waren: Der TV Buttenwiesen zählte schon bald nach der Gründung 1913 zahlreiche jüdische Mitglieder, die bei Wettbewerben erfolgreich waren und sich in der Vereinsführung sowie als Sponsoren engagierten. In den Unterlagen des SV Binswangen dagegen sind keine Juden zu finden. Wohl aber frönten die sportbegeisterten Mitglieder der
Ein Sportverein für fast die gesamte jüdische Kultusgemeinde Augsburgs
Binswanger Kultusgemeinde ihrer Leidenschaft beim Sportverein im benachbarten Wertingen. Ein Grund dafür könnte laut Kapfer sein, dass die Vereinsführung des SV Binswangen schon früh von Nationalsozialisten geprägt war.
Der Memminger Stadtarchivar Christoph Engelhard seinerseits berichtete vom wichtigen Beitrag jüdischer Spieler (vor allem Rudolf Kohn) zum großen Erfolg des örtlichen Fußballklubs Anfang der 1920er Jahre. Einen starken jüdischen Anteil verzeichnete bis in die 1930er Jahre hinein auch die Skiabteilung des Memminger Alpenvereins – und das, obwohl dort auch Antisemiten Mitglieder waren. Überhaupt kommt Engelhard zu dem Schluss, dass die Diskriminierung von Juden in gesellschaftlichen oder kulturellen Vereinigungen ausgeprägter gewesen sei als in Sportvereinen. Selbst bei einer Nazi-größe wie dem Augsburger Sport-refe- renten Willi Förg gebe es Anzeichen dafür, dass seine Sportbegeisterung bisweilen stärker gewesen sein könnte als die Ns-ideologie – wie Georg Feuerer vom Stadtarchiv erläuterte.
Toleranz war allerdings nur bis 1935 geduldet. Spätestens in diesem Jahr wurden alle normalen Sportvereine verpflichtet, in ihren Satzungen festzuschreiben, dass ausschließlich „Arier“Mitglieder sein können. Juden wurden ausgeschlossen und konnten sich nur noch in speziellen Vereinigungen der Kultusgemeinden sportlich betätigen. Eine solche gab es für kurze Zeit etwa in Ichenhausen, was Dr. Claudia Madel-böhringer vom Stadtarchiv herausfand. Und für viele Augsburger Juden wurde der jüdische Sportverein Private Tennisgesellschaft Augsburg (PTGA) zu einer (befristeten) Insel bei gleichzeitiger Diskriminierung durch das Ns-regime. Die um 1930 zunächst als private Vereinigung großbürgerlicher Juden gegründete Gesellschaft verzeichnete einen enormen Zulauf und vereinigte zahlreiche sportliche Disziplinen unter ihrem Dach. Mit rund 1000 Mitgliedern im Jahr 1934 habe sich fast die gesamte jüdische Kultusgemeinde der Stadt dem Verein angeschlossen, schätzt Professor Benigna Schönhagen vom Jüdischen Museum Augsburg. Doch auch die Existenz dieser „Insel im braunen Meer“war nur von kurzer Dauer. 1938 lösten die Behörden den Verein auf und beschlagnahmten die Sportanlagen. Selbst beachtliche sportliche Erfolge konnten Juden nicht vor Deportation und Ermordung schützen.
Die Ausstellung „Never Walk Alone“im Jüdischen Museum München thematisiert anhand zahlreicher, durch die Ausstellungsarchitektur anschaulich in Szene gesetzter Biografien Emanzipation, Anpassung und Ausgrenzung deutscher Sportler mit jüdischen Wurzeln. Zu sehen ist die Schau noch bis 7. Januar dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr. AKTION -31%