Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ihre Arbeit muss gesehen werden!“

Kunstpreis Zeitsicht In diesem Jahr hat der Documenta-künstler Daniel Knorr den Preisträge­r ausgewählt: die ehemalige französisc­he Schauspiel­erin Nès Joëssel. Eine Begegnung

- VON RÜDIGER HEINZE

Neben dem „Parthenon der Bücher“von Marta Minujín setzte auch er bei der diesjährig­en Documenta von Kassel ein weithin sichtbares Zeichen: Daniel Knorr, der aus dem Zwehrentur­m am Friedrichs­platz weißen Rauch aufsteigen ließ. Betrachter werteten dies als ein Signal des „Habemus documentam“; Daniel Knorr selbst betrachtet­e sein flüchtiges Werk „Espiration Movement“in erster Linie als eine Aufforderu­ng „auszuatmen“. So, wie (beispielsw­eise) Europa seine (ehemaligen) Kolonien „eingeatmet“habe, so habe die Menschheit insgesamt die Welt eingeatmet, eingenomme­n. Jetzt aber, zu einem Zeitpunkt, da es rapide bergab gehe, sei es an der Zeit, auszuatmen, zurückzuge­ben. So des Künstlers Erklärung gegenüber unserer Zeitung nach Ende der Documenta.

Auch für den griechisch­en Startplatz Athen der internatio­nalen Kunstschau 2017 hatte Knorr, 1968 mit deutschen Wurzeln in Bukarest geboren, ein Kunstwerk entwickelt: Fundstücke von den Straßen der Stadt wurden mit hohem Druck zu- und in Bücher eingelasse­n, die von Documenta-besuchern erworben werden konnten.

Ein Augsburger war Gast, Betrachter, letztlich Bewunderer der Athener Aktion: Eberhard Hauser. Und weil er für seinen alle zwei Jahre zu vergebende­n Augsburger Kunstpreis „Zeitsicht“wieder einen bekannten Künstler mit Preisträge­r-vorschlags­recht suchte, und weil er mit Knorr mehr oder weniger zufällig ins Gespräch kam, hat nun auch der „Zeitsicht“-kunstpreis 2017 einen Träger, genauer eine Trägerin. Wohlgemerk­t: Als bereits arrivierte­r Künstler war Knorrs Aufgabe lediglich, einen Kollegen oder eine Kollegin vorzuschla­gen, von dessen/deren Arbeit er so überzeugt ist, dass er diese ausgezeich­net sehen will – damit eine breitere Auseinande­rsetzung stattfinde­n möge. So, wie zuletzt auch Neo Rauch, Rebecca Horn, Marina Abramovic und Katharina Sieverding Preisträge­r ausgesucht haben.

Daniel Knorr nun entschied sich für Nès Joëssel, eine ehemalige französisc­he Schauspiel­erin, die er als Bildende Künstlerin in Berlin kennengele­rnt hatte. Knorr: „Ihre Ar- beit muss gesehen werden!“Und so wird Joëssel, 1969 in Rennes/bretagne geboren, am Samstag im Höhmannhau­s als „Zeitsicht“-preisträge­rin 2017 geehrt – nachdem dort vor zwei Jahren das Grandhotel Cosmopolis auf Vorschlag von Katharina Sieverding ausgezeich­net worden war.

Fragt man Nès Joëssel selbst, warum wohl sie von Knorr so dringlich

„Sie hat keinen Abstand zu ihrer Arbeit.“

als zu beachtende Künstlerin auserwählt worden war, ist die Reaktion höchste Bescheiden­heit: „Ich weiß es nicht. Ich habe keine Idee. Ich habe meine Sachen gezeigt, wir haben miteinande­r gesprochen. Er sagte, sie seien gut und schön.“In diesem Moment aber funkt Daniel Knorr dazwischen: „Sie kann nicht antworten, weil sie sich nicht vergleiche­n kann. Sie steckt im System nicht drin. Sie hat keinen Abstand zu ihrer Arbeit, die so wahr und so sauber ist.“

Da stellt sich nahezu automatisc­h eine weitere Frage an Joëssel: „Hasammenge­presst ben Sie künstleris­che Obsessione­n? Und sie antwortet lächelnd: „Viele. Zum Beispiel Schwarz und Quadrat!“Womit sie ziemlich direkt auf Kunst-pioniere des 20. Jahrhunder­ts anspielt.

Rein materialte­chnisch betrachtet, schafft Joëssel (abstrakte) Siebdrucke, die sie benäht und bestickt und so in einen Bildkörper verwandelt. Will man aber wissen, welche künstleris­chen Fragen sie antreiben, erklärt sie so leise wie eindringli­ch mit Verweis auf die von ihr erlernte darstellen­de Kunst, speziell der Komödie: „Wo ist der rechte Moment, in dem man eine Geste anhalten sollte, um sie im Raum stehen zu lassen? Und wo wird durch den Bruch mit der Ernsthafti­gkeit ein Überraschu­ngsmoment kreiert?“

Mit der „Zeitsicht“-preisverle­ihung am Samstag um 14 Uhr wird im Höhmannhau­s (Maximilian­straße) zu besichtige­n sein, was Daniel Knorr derart begeistert, dass er es so dringlich ans Herz legt. Der Documenta-künstler wird zwar selbst nicht anwesend sein, aber über Video dennoch zur Preisverle­ihung und zum Vernissage­n-publikum sprechen.

 ?? Foto: Eberhard Hauser ?? Die französisc­he Künstlerin Nès Joëssel wird den Augsburger Kunstpreis „Zeitsicht“2017 erhalten – weil sie der Documenta Künstler Daniel Knorr (rechts) dafür vorgeschla gen hatte. Hier sitzen beide vor dem Höhmannhau­s in der Maximilian­straße, wo...
Foto: Eberhard Hauser Die französisc­he Künstlerin Nès Joëssel wird den Augsburger Kunstpreis „Zeitsicht“2017 erhalten – weil sie der Documenta Künstler Daniel Knorr (rechts) dafür vorgeschla gen hatte. Hier sitzen beide vor dem Höhmannhau­s in der Maximilian­straße, wo...

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