Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Nur bedingt auf Katastrophen vorbereitet
Zivilschutz Notfallkonzepte und Alarmsysteme werden ständig weiterentwickelt. Doch in einem Punkt gibt es Nachholbedarf
Bonn Im Sommer 2016 diskutierte ganz Deutschland über eine Einkaufsliste. 400 Gramm Zwieback, ein Kilo Kartoffeln, 700 Gramm Sauerkraut in der Dose, 28 Liter Mineralwasser, 250 Gramm Trockenpflaumen, Fieberthermometer, ein batteriebetriebenes Radiogerät, ein Vorrat an Kerzen und eine Menge anderer Dinge, die man im Notfall dringend braucht, stehen auf diesem Zettel. Es ist die offizielle staatliche Empfehlung für einen Katastrophenfall.
In jenem Sommer präsentierte Innenminister Thomas de Maizière das neue Notfallkonzept der Bundesregierung. Eigentlich eine Routinesache. Doch sein Aufruf an die Bevölkerung, sich mit Vorräten einzudecken, weckte Ängste, viele Leute machten sich aber auch lustig darüber. Dabei geht es um eine ernste Frage: Wie gut ist Deutschland auf Naturkatastrophen, Anschläge, Atomunfälle oder Cyberattacken vorbereitet? Mindestens in einem Punkt gibt es noch immer erheblichen Nachholbedarf, wie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz nun einräumt. Dessen Präsident Christoph Unger warnt: „Die Nato empfiehlt Betreuungsplätze für zwei Prozent der Bevölkerung. Das wären bei uns 1,6 Millionen. So weit sind wir noch nicht.“
Dabei ist die Bedrohungslage durchaus real, wie die Katastrophe im Atomkraftwerk im japanischen Fukushima 2011 gezeigt hat. Viele Menschen wären in einem solchen Fall auf fremde Hilfe angewiesen. Als Betreuungsplatz definieren die Experten einen „festen oder mobilen Ort der Unterbringung, Versorgung und Betreuung von hilfebedürftigen Menschen in Krisen- und Katastrophenlagen“. Der Bedarf dafür wächst allein deshalb, weil es immer mehr ältere Menschen gibt, die alleine nicht klarkommen.
Bislang sei nicht einmal klar, wie viele solcher Plätze derzeit zur Verfügung stünden. „Wir brauchen eine Bestandsaufnahme“, sagt Unger. Klar ist aber auch: Betreuungsplätze sind teuer. Der Bevölkerungsschutz benötigte genauso wie die Bundeswehr mehr Geld, fordert Unger deshalb und fügt hinzu: „Wir reden von Millionen.“Es gehe bei der Versorgung im Katastrophenfall aber nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität.
Dass Deutschland im Zivilschutz noch einige offene Baustellen hat, hängt auch mit der politischen Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte zusammen. „In den 90er Jahren haben wir geglaubt, nur noch von Freunden umgeben zu sein“, erklärt Unger. Seitdem hätten die Risiken aber wieder deutlich zugenommen, sagt er mit Blick auf Terror, Klimawandel, internationale Konflikte und Cyberangriffe. Als konkrete Beispiele nennt er die Anschläge in den USA vom 11. September 2001, die Zunahme extremer Wetterereignisse wie Sturzfluten oder die Hacker-attacken auf den Bundestag und Krankenhäuser.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz befasst sich auch mit theoretisch denkbaren Ereignissen wie einem Erdbeben. „Wir gehen von einem All-gefahren-ansatz aus“, sagt Unger. Bei rascher Hilfe für Opfer von Katastrophen sei die Ursache dafür zunächst zweitrangig. Wichtig sei in einem solchen Fall auch, dass Betroffene schnell gewarnt werden. Die Warn-app „Nina“(„Notfall-informations- und Nachrichten-app“) haben 2,3 Millionen Nutzer auf ihren Smartphones installiert. „Wir können uns aber nicht auf ein Warnsystem verlassen, wir brauchen mehrere“, sagt Unger. Auch Sirenen auf Dächern sind wieder aktuell. Und: „Wir verhandeln gerade mit den zwei großen Städtereklame-anbietern über Warnungen auf digitalen Schautafeln.“Zudem könnten Bildschirme in Bussen und Trams für Katastrophenwarnungen genutzt werden.