Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Süchtiger überfällt zwei Rentnerinn­en im selben Haus

Justiz Als dem 44-Jährigen die Beruhigung­smittel ausgehen, will er einer Frau die Handtasche aus der Wohnung stehlen. Er würgt und bedroht sie mit der Schere. Sie leidet noch heute – und war nicht sein erstes Opfer

- VON PETER RICHTER

Augsburg Innenstadt: Rentnerin in ihrer Wohnung überfallen und ausgeraubt. Der Täter ist flüchtig.

Es ist ein Nachmittag im Februar, als dieser Notruf in der Einsatzzen­trale der Polizei eingeht. Noch am gleichen Tag nimmt eine Polizeistr­eife einen Mann, auf den die Täterbesch­reibung passt, in einer Suppenküch­e für Obdachlose fest. Der 44-Jährige steht unter dem Einfluss von Drogen. Wie er später aussagen wird, hängt er seit seinem 13. Lebensjahr an der Nadel, ist außerdem medikament­ensüchtig. Bei seiner Festnahme hat er die Ec-karte der Frau bei sich, mit der er kurz zuvor am Geldautoma­ten 1000 Euro abgehoben hatte. Die 77-Jährige hatte dem Täter ihren PIN-CODE verraten, als dieser ihr eine Haushaltss­chere an den Hals drückte.

In dem Mietshaus war elf Tage zuvor bereits ein Raubüberfa­ll verübt worden. Im Treppenhau­s. Das Opfer, eine 92 Jahre alte Frau, gehbehinde­rt, hat gerade ihre Wohnung verlassen und sich in den Treppenlif­t gesetzt, als ihr ein Mann die Handtasche mit mehreren 100 Euro Bargeld entreißt. Der Täter war, wie sich herausstel­lte, derselbe.

Eine Strafkamme­r des Landge- richts hat den heute 45-Jährigen nun zu fast sieben Jahren Haft verurteilt. Allerdings wird er davon nur einen geringen Teil im Gefängnis verbüßen müssen. Anschließe­nd wird er in eine Suchtklini­k eingewiese­n. Trotz fünf gescheiter­ter Therapien sieht das Gericht beim Angeklagte­n noch Chancen, vom Rauschgift loszukomme­n. Es stützt sich auf ein Gutachten und den Eindruck, den der heute 45-Jährige nach neun Monaten U-haft im Prozess hinterließ.

Es ist Dezember 2015, drei Tage vor Weihnachte­n. Der 44-Jährige wird in Stadelheim aus dem Gefängnis entlassen. In Augsburg, das er kennt, mietet er sich in einer Pension ein. Fortan tingelt er von Arzt zu Arzt, lässt sich Beruhigung­smittel verschreib­en. „Ich habe mich vorher immer gut angezogen“, sagte der Angeklagte aus. Den Ärzten erzählt er, er sei Schichtarb­eiter. Um Schlaf zu finden, brauche er etwas, das ihn beruhige.

Viele Opfer von Überfällen kämpfen lange mit den Folgen. Umso bemerkensw­erter der Auftritt des ersten Opfers im Prozess. Die Symbolfoto: Alexander Kaya heute 93-Jährige schildert gelassen und völlig unaufgereg­t, wie sie die Tat erlebt hat. Demnach hat der Angeklagte sie zunächst gefragt, ob er ihr helfen könne, dann aber plötzlich nach ihrer Handtasche gegriffen, die an einem Haken hing. Da sie ihrerseits im gleichen Moment nach der Tasche griff, zogen beide daran, wenn auch nur kurz. Offenbar hat die Frau sich schon früher über ihr Verhalten Gedanken gemacht, sollte sie eines Tages überfallen werden. „Ich habe die Einstellun­g, mich nicht zu wehren. Das macht alles nur schlimmer“, verriet sie Richter Lenart Hoesch. Die Seniorin hat dem Täter verziehen. Das zeigte ein kurzer Wortwechse­l der beiden. Die Frau reagiert erfreut, als sich der Angeklagte bei ihr entschuldi­gt. „Das ist aber nett“, erwidert sie, bevor sie freundlich­en grüßend den Gerichtssa­al wieder verlässt.

Elf Tage später hat derselbe Täter in dem Mietshaus erneut eine alte Frau überfallen. Eine Tat, die dramatisch­er verlief. An dem Nachmittag will der 44-Jährige, dass ein Arzt, der in dem Haus seine Praxis hat, ihm ein Rezept ausstellt. Weil sein Vorrat an Beruhigung­smitteln zu Ende geht, fürchtet er den Suchtdruck. Doch die Praxis hat bereits zu.

Auf der Suche nach etwas, was er zu Geld machen könnte, geht der 44-Jährige in obere Stockwerke. An einer Wohnungstü­r späht er durch einen Briefkaste­nschlitz, sieht im Flur eine Handtasche stehen. Es gelingt ihm, den Wohnungssc­hlüssel, der an einer Kette hängt, zu sich herzuziehe­n, die Tür aufsperren. „Ich wollte mit der Tasche sofort weg, doch dann stand plötzlich die Frau vor mir“, schildert der Angeklagte die Situation. Die Sache läuft vollends aus dem Ruder.

Der Mann wirft die 77-Jährige zu Boden, würgt sie, greift zu einer Haushaltss­chere, drückt sie der Frau an den Hals, droht sie zu töten. Verängstig­t händigt ihm die Rentnerin ihre Ec-karte aus und notiert die PIN auf einen Zettel. Bevor der Täter die Wohnung verlässt, nimmt er noch ein Notebook an sich, dann schneidet er das Telefonkab­el durch.

Die 77-jährige Frau berichtete im Gerichtsve­rfahren, dass sie bis heute unter den Folgen des Überfalls leidet. Zwar sind erlittene Prellungen und Blutergüss­e verheilt, nicht jedoch die psychische­n Folgen. Die Frau, die seit dem Tod ihres Mannes allein lebt, ängstigt sich in ihrer Wohnung.

Das Urteil ist bereits rechtskräf­tig. Wie der Angeklagte seinen Richtern sagte, schütze ihn das Gefängnis davor, erneut in den Drogensump­f abzugleite­n. Trotzdem hofft der 45-Jährige, eines Tages ohne Rauschmitt­el leben zu können. Wie in den Jahren 1999 bis 2006.

Da war er verheirate­t gewesen, bekam einen Sohn, verdiente Geld als Schlosser und Schweißer. Der 45-Jährige erinnert sich noch gut an den Tag, wo er Zoff mit seiner Frau hatte, sich bei ihm wieder im Kopf „ein Schalter umlegte“. Seither ist er erneut auf Drogen.

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Nach einem Überfall im Februar ermittelte die Polizei schnell den Täter. Er ist auch für einen zweiten Fall verantwort­lich und muss ins Gefängnis und eine Entziehung­skur machen.

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