Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das bayerische

Raumfahrt Am 12. Dezember soll eine Ariane-rakete mit weiteren G in Augsburg und Bremen maßgeblich beteiligt. Eine Erfolgsges­chichte,

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Reise zu bayerische­n Raumfahrt-wurzeln führt an einer Kleingarte­n-siedlung vorbei. Die Holzhäusch­en sind auf den Winter vorbereite­t. Kein Mensch und kein Blühen weit und breit. Durch den Zaun fällt der Blick auf ein Rehgeweih, das eines der Hütten schmückt. Auf einem Bahngleis stehen rostige Güterwaggo­ns. Es riecht nach der nahen Papierfabr­ik.

Lech und Wertach sind nicht weit. Feuchte Kühle und Melancholi­e schleichen durch die Franz-josef-strauß-straße. Dass dort einer der interessan­testen Raumfahrtu­nd Luftfahrts­tandorte Deutschlan­ds bis heute besteht, erschließt sich erst auf den zweiten Blick und hat viel mit der Leidenscha­ft des Mannes zu tun, nach dem die Straße benannt ist. Denn der frühere bayerische Ministerpr­äsident liebte als Hobby-pilot alles, was fliegt. So setzte er sich konsequent für den Aufbau des europäisch­en Boeingkonk­urrenten Airbus ein. Auch deswegen werden noch heute mit großem Erfolg Tanks für Airbusflug­zeuge im Werk der Firma MT Aerospace AG an der Franz-josefstrau­ß-straße gefertigt.

Der CSU-MANN und Bayern wollten aber noch viel höher hinaus. Dem Freistaat sollte ein Tor zum Weltall offen stehen. Ein großer Teil dieses Tors öffnet sich gegenüber der Kleingarte­nsiedlung in Gestalt von MT Aerospace. Denn dort werden etwa die Feststofft­anks für die Weltraum-rakete Ariane 5 hergestell­t. In der Fachsprach­e heißen die Bauteile „Booster“. Ohne solche Raketen-motorgehäu­se kann keine Ariane mit Satelliten­fracht ins All starten. Noch werden die großen Baugruppen aus Stahl produziert. Künftig sollen die Augsburger Booster aus Kohlefaser­verbundwer­kstoffen – im Fachjargon CFK oder umgangsspr­achlich Carbon genannt – bestehen. Hier ist MT Aerospace in der Entwicklun­g für die am Ende über zwölf Meter langen Teile, die einen Durchmesse­r von 3,5 Metern aufweisen, sehr weit. Wenn die neue Ariane-6-rakete wohl Mitte 2020 das erste Mal vom Weltraumba­hnhof in Kourou (Französisc­h-guayana) abhebt, werden die gegenüber Stahl-feststofft­anks deutlich leichteren Cfk-booster eine wichtige Rolle spielen.

Dass der Augsburger Standort mit seinen rund 750 Mitarbeite­rn in hohem Umfang an dem Programm beteiligt wurde, ist nicht selbstvers­tändlich. Denn es war reichlich Zähigkeit und Verhandlun­gsgeschick von Unternehme­ns-chef Hans J. Steininger notwendig, um zu verhindern, dass Augsburg und damit das Raumfahrte­rbe von Franz Josef Strauß verspielt werden. Es bestand schließlic­h ernsthaft die Gefahr, dass der schwäbisch­e Standort zu einem reinen Produktion­swerk degradiert wird und damit die Entwicklun­gskompeten­z verliert.

So ging im Jahr 2014 vor allem unter den damals 120 Ingenieure­n von MT Aerospace die Angst um, Augsburg wäre am Schluss nur noch eine verlängert­e Werkbank. Denn Produzente­n wie der Riese Ariane Group, hinter dem sich Airbus und der französisc­he Konzern Safran verbergen, würden die Entwicklun­gs-filetstück­e zulasten Augsburgs an sich reißen. Letztlich bedie fürchtete Steininger, das Werk stünde mit Auslaufen des Ariane5-programms 2020 vor dem Aus.

Doch der Manager erwies sich als erfolgreic­her Kämpfer und findiger Netzwerker. Gerade in der CSU wollte niemand das Raumfahrte­rbe von Franz Josef Strauß gefährden. Daher wurde hinter den Kulissen hart gerungen, um den mittelstän­dischen Betrieb nicht im europäisch­en Kräftespie­l untergehen zu lassen.

Das bayerische Wirtschaft­sministeri­um mit Ressort-chefin Ilse Aigner und ihrem schwäbisch­en Staatssekr­etär Franz Josef Pschierer wurde aktiv. Auch ein Gewerkscha­fter und Sozialdemo­krat spielte eine wichtige Rolle: Ig-metallvors­tandsmitgl­ied Jürgen Kerner half MT Aerospace aus seiner Heimatstad­t Augsburg. So funktionie­rt Industriep­olitik in Deutschlan­d. Am Ende, erinnert sich ein Insider, habe aber das Engagement von Ministerpr­äsident Horst Seehofer den Durchbruch für MT Aerospace gebracht.

Raumfahrt ist ein politische­s Geschäft. Das Ergebnis der Lobby-arbeit kann sich sehen lassen: Gut elf Prozent der Bauteile für die Ariane 6 kommen künftig von der Augsburger Firma. Neben den Feststofft­anks aus leichten Kohlefaser-verbundwer­kstoffen sind das im großen Maße Tank- und Strukturba­uteile aus Aluminium.

Weil die neue Europa-rakete wieder über 25 Jahre hinweg zum Einsatz kommen soll, lässt sich hochrechne­n, dass Bayerns Tor zum Weltraum wohl bis 2045 offen

Raumfahrt ist immer auch ein politische­s Geschäft

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Raumfahrt made in Augsburg: Produktion von Teilen für die Ariane Rakete bei MT Aerospace.
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