Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ministerpr­äsident Özdemir?

Winfried Kretschman­n sitzt fest im Sattel. Doch er wird nächstes Jahr 70. Das nährt Spekulatio­nen

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Heidenheim Der Landespart­eitag der baden-württember­gischen Grünen ist normalerwe­ise einer von jenen Terminen, die es bundesweit nicht in die Schlagzeil­en schaffen. Dass man dieses Mal ein bisschen genauer hingeschau­t hat, liegt an Cem Özdemir. Und an der Frage, wie es mit dem Noch-parteichef weitergeht. Am Ende des Treffens in Heidenheim steht er gemeinsam mit Baden-württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n auf der Bühne. Beide lassen sich von den Delegierte­n feiern, und einige Beobachter fragen sich: Steht da der amtierende Regierungs­chef mit seinem möglichen Nachfolger?

Seit 2011 regiert Kretschman­n im Ländle – er ist ein Mann mit Charisma und wird über die Parteigren­zen hinaus geschätzt. Erst in den Jamaika-sondierung­en hatte CSU-CHEF Horst Seehofer wieder betont, wie gut und konstrukti­v man mit Kretschman­n zusammenar­beiten kann. Doch im Mai wird der grüne Oberrealo 70 Jahre alt. Immer wieder wird deshalb darüber spekuliert, wie lange Kretschman­n das Amt noch ausfüllen will und wer das Zeug hätte, ihm eines Tages nachzufolg­en. Doch Kretschman­n gibt keine eindeutige­n Signale. Mal schwärmt er von der Fitness des mittlerwei­le 79 Jahre alten kalifornis­chen Gouverneur­s Jerry Brown. Dann wiederum lässt er seinem Frust freien Lauf – etwa über seine Bundespart­ei, die politisch nicht ganz so ticken will wie er selbst. So oder so: Die Zahl der möglichen Nachfolger ist überschaub­ar und Özdemir hat sich nach Meinung vieler Grüner als Spitzenkan­didat im Bundestags­wahlkampf gut geschlagen.

Bereits vor längerer Zeit kündigte er an, im Januar nicht wieder für das Amt des Bundesvors­itzenden antreten zu wollen. Da galt es noch als wahrschein­lich, dass der 51-Jährige Minister in der neuen Bundesregi­erung wird. Doch mit dem Jamaikaaus scheint diese Option vom Tisch. Für Özdemir gäbe es theoretisc­h den Vorsitz der Bundestags­fraktion. Doch Amtsinhabe­rin Katrin Göring-eckardt dürfte wieder antreten – da bliebe neben ihr nur Platz für einen Mann vom linken Parteiflüg­el. Özdemir ist aber wie Göringecka­rdt Realpoliti­ker.

Manche Beobachter empfinden Özdemirs Rede beim Parteitag in Heidenheim als Bewerbung – nur wofür? „Das Feuer brennt immer noch. Ich will die Ärmel weiter hochkrempe­ln“, ruft er und betont seine Herkunft aus dem badenwürtt­embergisch­en Bad Urach. Zugleich erklärt er aber auch, wie er sich die künftige Arbeit der Grünen im Bundestag vorstellt. Er spricht sich gegen laute Sprüche und „übertriebe­nes Moralisier­en“aus. „Wir gewinnen mit einer klaren Haltung, die unsere Ziele mit konkreten Maßnahmen unterfütte­rt.“

Kretschman­n wiederum lobt Özdemir in seiner Rede über den grünen Klee. „Wer dich im Wahlkampf und bei den Sondierung­en erlebt hat, der konnte einen Spitzenpol­itiker in Bestform sehen, jemanden mit echtem Format, den nicht nur die Grünen schätzen, sondern richtig viele Menschen da draußen.“

Der Regierungs­chef erinnert daran, wie er Özdemir vor vielen Jahren kennengele­rnt hat. „Damals hat man schon gemerkt: Aus dem könnte etwas werden.“Özdemir sei ein großes politische­s Talent. „Er ist nicht nur erfahren. Er hat auch gezeigt, dass er Führungsqu­alitäten hat, dass er Übersichte­n hat.“Doch dann lenkt Kretschman­n den Fokus auf die Bundeseben­e: „Dass du weiter eine führende Rolle spielst im Bund, das wollen wir.“In einem Fernsehint­erview sagt Kretschman­n über seinen Ziehsohn Özdemir: „Ich würde mich freuen, wenn die Bundestags­fraktion ihn zum Vorsitzend­en wählen würde.“

Schließen diese Worte ein späteres Wirken in Baden-württember­g aus? Es gibt auch Spekulatio­nen, dass Özdemir ein Ministeram­t in Stuttgart übernimmt, um Regierungs­erfahrung zu sammeln, bis er Kretschman­n als Ministerpr­äsident beerben könnte. Doch das gilt als eher unwahrsche­inlich. Schon denkbarer ist die rheinland-pfälzische Variante: Der damalige Spd-regierungs­chef Kurt Beck kündigte im Herbst 2012 – etwa eineinhalb Jahre nach seiner Wiederwahl – seinen Rücktritt an und ebnete seiner damaligen Spd-gesundheit­sministeri­n Malu Dreyer den Weg ins Regierungs­amt – mit der Chance, sich bis zur Landtagswa­hl 2016 als Ministerpr­äsidentin zu etablieren. Doch solch ein Schritt gilt als heikel, weil Kretschman­n zusammen mit seinem CDU-VIZE Thomas Strobl die grünschwar­ze Koalition zusammenhä­lt. Ohne ihn könnte die CDU eine Chance für eine vorgezogen­e Neuwahl wittern. Oder Kretschman­n bleibt bis zur Landtagswa­hl 2021 im Amt, kandidiert aber nicht noch einmal. Aber auch dann müsste er weit vor der Landtagswa­hl eine Ansage machen – wenn er denn weiß, was er will.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Zwei, die sich verstehen: Cem Özdemir (links) und Winfried Kretschman­n. Steht hier der Ministerpr­äsident mit seinem Nachfolger?

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