Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was ist schuld am Bienenster­ben?

Umwelt Nach Glyphosat ringt die Eu-kommission auch um den Einsatz umstritten­er Insektengi­fte. Wieder gibt es in der Regierung Streit, ob es strengere Verbote in der Landwirtsc­haft geben soll

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Berlin Wenn Imker im Frühjahr nach ihren Bienenstöc­ken sehen, lautet ihre größte Sorge: Wie viele Völker wurden über den Winter Opfer des Bienenster­bens? Vergangene­n Winter raffte das rätselhaft­e Phänomen in Deutschlan­d nach Hochrechnu­ngen von Wissenscha­ftlern 170 000 Bienenvölk­er dahin. Dabei sind Bienen allerdings vielfältig­en Gefahren ausgesetzt, Umwelteinf­lüsse verändern ihr Verhalten, Milben und Viren gelten als Hauptfeind­e – aber auch der Mensch: Monokultur­en und Pflanzengi­fte in der Landwirtsc­haft sind nach Ansicht von Experten mitverantw­ortlich für den massenhaft­en Bienenvölk­ertod.

Die Europäisch­e Behörde für Lebensmitt­elsicherhe­it Efsa schreibt unter anderem drei Pflanzensc­hutzmittel­n, sogenannte­n Insektizid­en ein „hohes, akutes Risiko“für Bienen zu. Ihre Namen klingen sperrig: Clothianid­in, Thiamethox­am und Imidaclopr­id. Die drei Nervengift­e gehören zur Gruppe der sogenannte­n Neonikotin­oide. Sie werden als Saatgutbei­zmittel eingesetzt, um Schädlinge zu bekämpfen und die angebauten Pflanzen dadurch zu schützen. Doch ihre aggressive Wirkung entfalten sie auch gegen solche Tiere, deren Rückgang gar nicht beabsichti­gt ist – vor allem Bienen.

„Neonikotin­oide lähmen oder töten Bienen bereits bei einer niedrigen Dosierung“, sagt der britische Bienen-experte Dave Goulson von der Universitä­t Sussex. Die tödliche Dosis für viele der Wirkstoffe be- nach seinen Angaben etwa vier milliardst­el Gramm pro Biene „Bei schwächere­r Dosierung beeinträch­tigen sie unter anderem die Navigation und das Lernen, reduzieren die Fortpflanz­ungsfähigk­eit und unterdrück­en das Immunsyste­m.“

Anders als beim jüngsten Streit um das Unkrautver­nichtungsm­ittel Glyphosat sind die gefährlich­en Nebenwirku­ngen der genannten Insektizid­e selbst in Brüssel nicht umstritten: Bereits vor vier Jahren entschied die Eu-kommission den

Vier milliardst­el Gramm reichen, um Bienen zu töten

Einsatz der drei Neonikotin­oide zu beschränke­n. So ist es derzeit Euweit nicht erlaubt, die drei Insektizid­e etwa auf Rapssaat und beim Anbau von Kirschen, Äpfeln oder Gurken anzuwenden. Doch die Beschränku­ng hat viele Lücken: Für zahlreiche Pflanzen gibt es Sondergene­hmigungen. So dürfen die Neonikotin­oide zum Beispiel bei Hafer oder Weizen angewendet werden, wenn die Getreide zwischen Januar und Juni ausgesät werden.

Der Beschluss der Kommission im Jahr 2013 ging auf ein Gutachten der Eu-lebensmitt­elsicherhe­itsbehörde Efsa zurück. Das Amt erhielt damals zugleich den Auftrag, weitere Erkenntnis­se zur Wirkung der drei Insektizid­e zusammenzu­tragen. Die Eu-kommission diskutiert nun, ob es weitere Beschränku­ngen für die drei Insektengi­fte geben soll. Im Gespräch sind innerhalb der Kommission Vorschläge, nach denen die drei Gifte nur noch in Gewächshäu­sern eingesetzt werden dürften. Ob es diese Woche schon eine Entscheidu­ng gibt, ist unklar.

Umweltschü­tzer fordern ein generelles Verbot der Neonikotin­oide: „Die Teilverbot­e und Sondergene­hmigungen der EU greifen ins Leere, Jahr für Jahr werden weiter große Mengen eingesetzt“, sagt Leif Miller von der Naturschut­zorganisat­ion Nabu. Landwirtsc­haftsvertr­eter sind gegen ein Totalverbo­t und sprechen von Wettbewerb­snachteile­n für Europas Landwirtsc­haft: „Wir behaupten nicht, dass diese Mittel harmlos sind“, sagt Martin May vom Industriev­erband Agrar. „Aber sie können von fachkundig­en Landwirten verantwort­ungsvoll eingesetzt werden.“Mays Verband fordert zudem, die für Februar erwartete Empfehlung der Eu-behörde abzuwarten: „Wir sind verwundert, warum die Kommission diesen Schritt jetzt geht. Wir finden es wichtig, das wissenscha­ftliche Votum der Efsa abzuwarten.“

Und so könnte das Thema, wenn die zuständige­n Eu-gremien heute tagen, am Ende wieder zu einer Streitfrag­e wie Glyphosat werden. Vor zwei Wochen hatte Csu-landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt gegen das Veto von SPD– Umweltmini­sterin Barbara Hendricks einer verlängert­en Zulassung des umstritten­en Unkrautver­nichträgt ters Glyphosat zugestimmt und sich eine Rüge von Kanzlerin Angela Merkel eingefange­n.

Im Fall der Neonikotin­oide unterstütz­t Hendricks Umweltmini­sterium die Vorschläge der Kommission einer Beschränku­ng auf Gewächshäu­ser, und möchte sich in der Regierung für eine entspreche­nde deutsche Position einsetzen. Schmidts federführe­ndes Landwirtsc­haftsminis­terium betont, die Ergebnisse der Efsa-empfehlung im Februar abwarten zu wollen. Allerdings

Landwirtsc­haftsverbä­nde sind gegen ein Totalverbo­t

sagte Schmidt kürzlich in einer Talkshow: Wenn sich in der Efsa-studie herausstel­le, dass die Stoffe schädlich seien, „dann müssen sie komplett verboten werden“.

Während die Politik noch diskutiert, befürchtet der britische Bienen-experte Goulson bereits, dass sich die Hersteller der Insektizid­e herauszuwi­nden versuchen: „Während diese Debatte hochgekoch­t ist, hat die Industrie geräuschlo­s Ersatzprod­ukte registrier­t. Angeblich sollen es keine Neonikotin­oide sein, tatsächlic­h aber haben sie eine verdächtig­e Ähnlichkei­t.“So sei etwa der Wirkstoff „Flupyradif­uron“seit 2015 in einigen Eu-ländern als Insektizid zugelassen. Deutschlan­d gehört bislang nicht dazu.

Janne Kieselbach und Fabian Nitschmann, dpa

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Foto: Stratensch­ulte, dpa Vergangene­n Winter raffte das rätselhaft­e Bienenster­ben in Deutschlan­d nach Hochrechnu­ngen von Wissenscha­ftlern 170000 Bienenvölk­er dahin.

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