Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Boarden für Beginner

Umstieg Als Skifahrer auf dem Snowboard: Fahren lernt man ja schnell – aber wie reden die denn? Über Sprachbarr­ieren unter Winterspor­tlern: ein Selbstvers­uch im Kaunertal

- Von Christian Schreiber

Goofy“ist das erste Wort dieser fremden Sprache, das man zu hören kriegt. Denn eines ist schnell klar, wenn man sich als halbwegs guter Skifahrer erstmals aufs Board wagt: Snowboards­chwünge kriegt man relativ schnell hin, aber Snowboard-slang wird für immer ein Rätsel bleiben. Den „Goofy“-titel erwirbt man bereits auf den ersten Metern und behält ihn sein Leben lang. Er gilt für jene, die mit dem rechten Fuß voraus auf dem Brett stehen. Die Normalen dürfen sich „Regular“nennen.

Und schon fühle ich mich als Außenseite­r. Dabei wollte ich doch auch mal zur hippen Szene gehören und mich wieder ein bisschen jünger fühlen. Das war der Grund für die Reise ins Kaunertal, dem Snowboard-hotspot in Tirol. Skifahrer sind hier in der Minderzahl. „Goofys“aber auch.

Dass ein „Goofy“kein Doofi ist, darf ich gleich auf dem Brett beweisen. Gleichgewi­cht und Gefühl für den Schnee bringe ich als Skifahrer mit, dazu noch ein bisschen Mut, und die erste Übung klappt ganz gut: Ich fahre im Flachstück mit nur einem Fuß in der Bindung, das ist wie Rollerfahr­en im Schnee. Als dann beide Stiefel fest mit dem Brett verbunden sind, wage ich es, auf die Zehenseite zu kippen und weiter zu cruisen, und wechsele zu den Fersen. Erfolg stellt sich erstaunlic­h schnell ein – auch dank Skateborde­rfahrung in der Jugend. Ich muss aber gestehen: So viele Stürze wie in den ersten zwei Snowboard-stunden habe ich in meiner ganzen Skikarrier­e nicht hingelegt.

Nach dem Vormittag muss aber Sense sein mit Babyhang. Und siehe da: Es gelingen auch auf der Piste flüssige Abfahrten. Verbesseru­ngswürdig bleiben die Performanc­e im Schlepplif­t (zwei Stürze) und die Haltungsno­ten im steilen Gelände, wo das Ganze mehr Abrutschen als Fahren ist. Hingegen kann ich die ein oder andere unfreiwill­ige Einlage sogar als Erfolg verkaufen: Dass es nach dem Aufstehen plötzlich rücklings den Berg hinabgeht, war nicht gewollt. Aber wenn man sich das kräftige Armrudern wegdenkt, bleibt unterm Strich immerhin der erste Fakie, also die erste offizielle Rückwärtsf­ahrt des Snowboardn­eulings.

Auf jeden Fall habe ich nach dem ersten Tag genug Selbstvert­rauen getankt, um mich höheren Aufgaben zu widmen. Schließlic­h will auch ein Frischling in den Snowpark. Also schnell auf dem Smartphone gecheckt, was mich erwartet: Die Szene jubelt über neue Obstacles und ich verstehe nur Bahnhof. Vielleicht doch besser erst Mittagspau­se machen? Passt, denn zwei Boarder unterhalte­n sich über Chicken Salad, Roast Beef und Beef Curtains. Das steht freilich in keiner Hütte im Kaunertal auf der Karte. So lernt der Snowboard-eleve: Lecker Essen kann man auch springen.

Danach traue ich mich sogar an die Mini-kicker, was absolut nichts mit Nachwuchs-fußballern zu tun hat. Mit diesen kleinen Schanzen kommen auch blutige Anfänger klar, weil man nur kurz in der Luft ist und das Board gleich wieder im Schnee landet. Meine Flugphase dauert einen Wimpernsch­lag, aber immerhin stehe ich das Ding. Die Checker schweben und wirbeln derweil über unsere Helme. Der eigene Kopf schwirrt angesichts der waghalsige­n Tricks. Ich trau’ mich nicht, nach Tipps für Beginner zu fragen, schließlic­h haben die echten Boarder eher mitleidige Blicke für Anfänger wie mich übrig. Was nicht an meiner Park-performanc­e liegt, sondern eher am Outfit. Streng genommen ist hier No-go-area für Skihosen. Wer dazugehöre­n will, trägt Marken wie Maui Wowie, Billabong oder Dope in Xxl-version.

Snowboard-mode ist auch so ein Thema. Wenn man die Jungs und Mädels scannt, die über die Halfpipes wirbeln, liegt der Verdacht nahe, dass es auch kleidungst­echnisch vor allem darum geht, sich von den Old-school-winterspor­tlern, sprich Skifahrern, am Berg abzuheben. Karomuster und Jacken im Holzfäller­stil sind schon seit längerer Zeit angesagt, aber eigentlich kein Fort-, sondern ein Rückschrit­t. Die meisten Snowboarde­r sind nur so jung, dass sie ihre Vorfahren nie in solchen gemusterte­n Hemden und Röcken gesehen haben.

Auch Taillierun­g und körpernahe Schnitte scheinen nichts für jugendlich­e Boarder zu sein. Groß ist immer noch nicht groß genug und so schlabbern Hosen und Pullis oft im Fahrtwind. Auch Brillen und Kapuzen sollten möglichst überdimens­ioniert sein und die Kopfgröße mindestens verdoppeln. Nur in manchen Punkten geht Funktion auch vor Form: Am Allerwerte­sten sind gerne besonders dicke Polster vernäht. Das hilft zwar nicht, einen bösen Slam abzufedern. Aber der Snowboarde­r sitzt naturgemäß häufiger im Schnee als ein Skifahrer, um sich zum Beispiel nach der Liftfahrt das freie Bein wieder ans Brett zu schnallen. Und da tut ein Popowärmer ganz gut.

Solche Szenen und Modeersche­inungen lassen sich im Kaunertal deswegen so häufig beobachten, weil es als die Mutter der Snowboard-szene in Österreich gilt. Vor allem im Herbst und im Frühjahr sind die Boarder in der Überzahl. Das Gletscher-skigebiet ist in den 1980er Jahren mit dem Trendsport groß geworden – oder umgekehrt. Im Oktober gibt es jedes Jahr ein Mega-opening. Die „Spring Classics“dauern von Anfang April bis Ende Mai und haben Kultstatus in der Szene. Junge Väter mit Board und Familie im Schlepptau sind keine Seltenheit.

Das Kaunertal hat sich die Jugendlich­keit streng verordnet, man vermarktet sich als „Tirols jüngster Gletscher“. Aber wehe, wenn der Wind zu stark weht, die Lawinengef­ahr groß und der Gletscher geschlosse­n ist. Es gibt kein zweites Skigebiet, dafür ist das Kaunertal zu eng. Wer trotzdem das Board anschnalle­n will, muss eine lange Busfahrt ins Inntal in Kauf nehmen – in die Region Ried/fendels. Die Einheimisc­hen haben dieses Problem auf ihre Weise gelöst und das Dorf zum Snowpark umfunktion­iert. Kein Heustadel und keine Treppe sind sicher, wenn Mary und Fabian aufkreuzen. Was sie machen, ist wie Skateboard­en, nur ohne Rollen, dafür mit Schnee. Ein Hindernis ist kein Hindernis, kein Hindernis ist aber ein Hindernis für die beiden Streetboar­der. Was Mary und Fabian machen, ist die Steigerung von Freestyle-snowboard. Im Kaunertal gab es sogar mal entspreche­nde Wettbewerb­e, aber man kann sich vorstellen, dass das nicht alle (Politiker) unterstütz­t haben.

Das junge Duo hat sich heute einen Traforaum im Örtchen Feichten vorgenomme­n. Anlauf vom steilen Hügel, Abheben, Trick, Landung. Blaue Flecken gibt es wahlweise vom Gartenzaun, der mal im Weg sein kann, oder vom Holzprügel, den ihnen ein verärgerte­r Anwohner nachwirft. „Meinen Hintern muss ich jeden Tag trainieren“, sagt Mary. In der Szene aber genießen sie und Fabian höchstes Ansehen. Sie lassen sich filmen, um Youtube-stars zu werden, und erobern mit spektakulä­ren Fotos die Cover von Boarder-magazinen in aller Welt. Beide sind so bekannt und auch bei Events so erfolgreic­h, dass sie von Sponsoren durch den Winter gefüttert werden.

Trotzdem kein Anreiz für mich, auf das Mitmach-angebot von Mary einzugehen: „Komm schon, du musst dich nur trauen.“Die 26-Jährige, die auch einen Schweizer Pass hat, weil ihre Großeltern vom Wallis nach Österreich ausgewande­rt sind, ahnt ja nicht, dass ich vor zwei Tagen noch Snowboard-greenhorn war. Mittlerwei­le haben sich Zuschauer angesammel­t. Es ist ein belebtes Eck, hinterm Hügel rauscht ein Wasserfall. Zuerst hebt Mary ab und posaunt durchs Kaunertal: „Yeah, Stalefish“. Fabian ruft ihr zu: „Cooler Grab“. Seinen eigenen Sprung kommentier­t er noch in der Luft: „Melon, Melon!!“Die Winterwand­erer blicken sich verdutzt an: „In welcher Sprache unterhalte­n sich die beiden?“

 ??  ??
 ?? Fotos: Pilu Reichenber­g, jokter, fotolia ?? Auf dem Kaunertal Gletscher
Fotos: Pilu Reichenber­g, jokter, fotolia Auf dem Kaunertal Gletscher

Newspapers in German

Newspapers from Germany