Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Dieser Wal droht für immer abzutauche­n

Nordamerik­a Es war ein furchtbare­s Jahr für den Atlantisch­en Nordkaper. Ein Dutzend seiner Art wurde tot vor der kanadische­n Ostküste aufgefunde­n. Jetzt geht die Angst um: Könnte der Wal schon in 20 Jahren aussterben?

- VON ANDREAS BAUMER

Augsburg Es begann im Juni. Zuerst strandete ein Wal an der kanadische­n Ostküste, dann zwei, dann sechs, dann ein Dutzend. Bis zu 18 Meter lang, 100 Tonnen schwer, einst Herrscher der Meere, nun auf Matsch und Stein gespült, der Natur ohnmächtig ausgeliefe­rt. Der Schock war groß. Was hatte die Ungetüme hierher getrieben, in den Golf von St. Lorenz, der Neufundlan­d vom kanadische­n Festland trennt, wo täglich etliche Schiffe verkehren, hunderte Fischer Garnelen und Hummer fangen?

Atlantisch­e Nordkaper, wie die Wale im Fachjargon heißen, gehören zu den gefährdets­ten Säugetiere­n der Welt. Vor 80 Jahren standen die Nordkaper schon einmal kurz vor der Ausrottung. Ihre Trägheit und Vorliebe, nah an der Küste zu schwimmen, machten sie zur leichten Beute. Ihr Öl ließ nordamerik­anische Häuser nachts erleuchten. Als sich 1935 weniger als 100 Nordkaper im Atlantik tummelten, verboten die Industries­taaten den Fang der Tiere. Die Nordkaper erholten sich. Vor einem Jahr schätzte das kanadische Fischereim­inisterium den weltweiten Bestand auf etwa 450. Dann kam der fatale Sommer.

Atlantisch­e Nordkaper sind im Winter in den warmen Gewässern rund um Florida zu finden. Erst im Sommer wagen sie sich in den Norden, um vor den Küsten von Neuengland und Kanada Nahrung zu suchen. Nordkaper fressen vor allem kleine Krebse und Plankton. Forscher gehen davon aus, dass das einer der Gründe ist, warum sich so viele Nordkaper dieses Jahr in den Golf von St. Lorenz verirrten. Dort fanden sie ausreichen­d Nahrung, aber auch Frachtschi­ffe und Taue.

Im Oktober trafen sich Walexperte­n in der kanadische­n Hafenstadt Halifax, um die dramatisch­en Ereignisse zu besprechen. Sie sandten eine deutliche Warnung aus: Jeder müsse nun seine Bemühungen verdoppeln. Ansonsten könnte der Atlantisch­e Nordkaper schon in 20 Jahren aussterben. Die Gründe für das Walsterben sind vielfältig. Doch zwei stechen heraus. Zusammenst­öße mit Frachtkähn­en enden für die Tiere meist tödlich. Zudem würden sich jedes Jahr 50 Atlantisch­e Nordkaper in Taunetzen verfangen, berichtete Meeresfors­cher Scott Kraus. Viele von ihnen würden ertrinken oder an ihren Verletzung­en sterben. Andere schleppten die bisweilen 60 Kilogramm schweren Netze hunderte Kilometer mit. Die Bewegungsf­reiheit nehme ab, der Frust zu. Das habe gravierend­e Folgen für die Fortpflanz­ung, sagte Meeresbiol­ogin Julie van der Hoop.

Weibchen sind erst nach zehn Jahren fruchtbar. Auch danach gebären sie nur alle drei bis fünf Jahre Kälber. Stress trage dazu bei, dass diese Abstände noch länger würden, sagt van der Hoop. Heißt: Der Verlust von mehr als einem Dutzend Walen in einem Jahr lässt sich durch Neugeburte­n kaum auffangen.

Die kanadische Regierung hat reagiert. Noch im Sommer untersagte sie in besonders betroffene­n Zonen den Fischfang. Zudem müssen Schiffe im Golf von St. Lorenz ihre Geschwindi­gkeit auf zehn Knoten drosseln. Ob das reicht, zeigt sich kommenden Sommer. Dann kehren die verblieben­en Nordkaper zurück in kanadische Gewässer.

 ?? Foto: NOAA, dpa ??
Foto: NOAA, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany