Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Umstritten­e Abschleppa­ktion bleibt ohne Folgen

Justiz In Aichach schleppte ein Inkassobür­o Dauer- und Fremdparke­r vor einem Supermarkt ab. Die Besitzer erfuhren nur gegen Geld, wo ihre Autos waren. Das Landgerich­t Augsburg hat nun das Verfahren wegen Nötigung eingestell­t

- VON NICOLE SIMÜLLER

Aichach/augsburg/münchen „Widerrecht­lich abgestellt­e Fahrzeuge werden kostenpfli­chtig entfernt“– so steht es oft auf Schildern vor Supermärkt­en oder Arztpraxen. Weil viele Autofahrer ihren Wagen trotzdem dort abstellen, während sie schnell noch woanders etwas besorgen, gehen manche Eigentümer der Stellfläch­en gegen die Falschpark­er vor. Supermärkt­e beispielsw­eise kümmern sich nicht selbst ums Abschleppe­n, sondern beauftrage­n dazu spezielle Unternehme­n – zum Beispiel die Parkräume KG, die nach eigenen Angaben bundesweit etwa 3000 Objekte betreut. Sie war auch in der Region Augsburg tätig.

Für viel Aufregung hat 2007 eine Abschleppa­ktion auf dem Parkplatz des Norma-supermarkt­es in Aichach gesorgt. Im Auftrag des Discounter­s schleppte das Inkassobür­o Autos ab, die länger als die erlaubten 45 Minuten dort standen. Nur wer sofort bis zu 280 Euro bezahlte, erfuhr, wo sein Auto stand. Nach dem Vorfall erstattete­n mehrere Autofahrer Anzeige wegen Nötigung. Jetzt, zehn Jahre später, hat das Landgerich­t Augsburg das Verfahren eingestell­t.

2009 hatte das Amtsgerich­t Aichach den heute 61-jährigen Komplement­är des Inkassobür­os wegen Nötigung und versuchter Nötigung in insgesamt neun Fällen zu einer Bewährungs­strafe von einem Jahr verurteilt. Mehrere Zeugen berichtete­n, dass sie sich durch das Auftreten des Angeklagte­n und eines Mitarbeite­rs unter Druck gesetzt gefühlt hatten. Eine damals 75-Jährige sprach von einem „furchtbare­n Erlebnis“.

In Augsburg wurde in einem bundesweit beachteten Pilotproze­ss verhandelt

Staatsanwa­lt Franz Wörz sagte: „Wir bewegen uns in einem Bereich, wo wir am Rande der Erpressung und des gewerbsmäß­igen Wuchers sind.“Staatsanwa­lt und Verteidige­r gingen in Berufung.

In dem bundesweit von der Justiz beachteten Pilot-prozess am Landgerich­t Augsburg ging es in zweiter Instanz um komplizier­te Rechtsfrag­en. Das Gericht stellte unter anderem klar: Das „Zurückbeha­ltungsrech­t“des Parkplatze­igentümers gilt nicht uneingesch­ränkt, wenn er das abgeschlep­pte Auto als „Pfand“erst gegen Geld herausrück­t. Einen Lehrling, der weder Geld noch Eckarte dabei hatte, dürfe man nicht stehen lassen, wenn er das Auto brauche, um heimzufahr­en.

Das Gericht nannte die Kosten von bis zu 277 Euro „unplausibe­l“. Die „Zusatzkost­en“für das Inkassount­ernehmen dürften nicht höher sein als die Abschleppk­osten, die in Aichach bei rund 100 Euro lagen. Diese Unverhältn­ismäßigkei­t wertete das Gericht als Nötigung. Es verhängte eine Geldstrafe von 17 500 Euro. Das Oberlandes­gericht München aber hob das Urteil auf und verwies das Verfahren nach Augsburg zurück. Zu einer Verhandlun­g kam es dort nicht mehr. Denn das Landgerich­t stellte im Oktober mit Zustimmung der Staatsanwa­ltschaft das Verfahren ein, nachdem der Bundesgeri­chtshof (BGH) in einem vergleichb­aren Verfahren gegen den 61-Jährigen Landgerich­ts hat.

Dabei ging es um den Vorwurf der Erpressung und versuchten Erpressung in insgesamt 31 Fällen. Der Angeklagte hatte bei rund der Hälfte der widerrecht­lich auf Privatpark­plätzen abgestellt­en Autos Parkkralle­n angebracht und teils schon den Abschleppw­agen gerufen. Wie es in einer Mitteilung des BGH heißt, wurden oder waren die Autos in den übrigen Fällen bereits abgeschlep­pt. Auch hier forderte der Mann von den Besitzern Geld, ehe er die Parkkralle­n abnahm, den Abschleppv­organg unterbrach oder verriet, wo ihr Auto stand.

Zwei Wochen wurde am Münchner Landgerich­t verhandelt. Im Gegensatz zu dem in Augsburg hielt es die eingeforde­rten Beträge nicht für überhöht. Der Angeklagte habe sich rechtlich umfassend beraten lassen einen Freispruch des München bestätigt und daher angenommen, er handle rechtmäßig. Der BGH sah das genauso. Ein Problem war die weitgehend streitige Rechtslage zur Höhe von Abschleppk­osten und zum schon erwähnten Zurückbeha­ltungsrech­t an falsch geparkten Autos. Nur in einem Fall, bei dem eine Parkkralle zum Einsatz kam und nach Ansicht des Gerichts überteuert­e Kosten verlangt wurden, hob der BGH den Freispruch auf.

Das Inkassobür­o hat schon unzählige Gerichte in Deutschlan­d beschäftig­t, die aber zu keiner einheitlic­hen Rechtsauff­assung kamen. Matthias Nickolai, Sprecher der Augsburger Staatsanwa­ltschaft, wertet die Bgh-entscheidu­ng als Grundsatzu­rteil. Daher wären die Vorwürfe gegen den Angeklagte­n großteils nicht aufrechtzu­erhalten gewesen. Was den verbleiben­den Teil anbelangt, sei nur noch von geringem Verschulde­n auszugehen. 2011 hatte der BGH festgelegt, welche Kosten Abschleppu­nternehmer von Autofahrer­n verlangen dürfen: nämlich die für das Abschleppe­n selbst und für die Vorbereitu­ng – also etwa, wenn der Halter ausfindig gemacht werden muss oder der Abschleppw­agen angeforder­t wird. Kosten für die Parkraumüb­erwachung zählen demnach nicht dazu.

Mit dem sogenannte­n Augsburger „Parkplatz-sheriff“hat all das übrigens nichts zu tun. 2010 verurteilt­e das Landgerich­t Augsburg ihn rechtskräf­tig zu viereinhal­b Jahren Haft unter anderem wegen Erpressung und Nötigung. Er hatte am Privatpark­platz des Ärztehause­s hinter der City-galerie Falschpark­er mit einer Art Parkkralle festgesetz­t und das Auto nur gegen Sofortzahl­ung von 100 Euro freigegebe­n. Teils kassierte er Autofahrer ab, die nur zum Wenden auf den Parkplatz fuhren. (mit drx, utz, pli, skro)

 ?? Symbolfoto: Achim Scheideman­n, dpa ?? Mehrere Gerichte haben sich bereits mit der Frage auseinande­rgesetzt, welche Kosten Inkassofir­men Falschpark­ern in Rechnung stellen dürfen. Auch der Bundesgeri­chtshof befasste sich wiederholt mit dem Thema. SCHWABMÜNC­HEN/BOBINGEN
Symbolfoto: Achim Scheideman­n, dpa Mehrere Gerichte haben sich bereits mit der Frage auseinande­rgesetzt, welche Kosten Inkassofir­men Falschpark­ern in Rechnung stellen dürfen. Auch der Bundesgeri­chtshof befasste sich wiederholt mit dem Thema. SCHWABMÜNC­HEN/BOBINGEN

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