Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Lücken im Gräberfeld

Friedhöfe Seit Jahren steigt die Zahl der Urnenbeise­tzungen. Dies stellt Kommunen und Kirchen vor große Herausford­erungen. Sind Naturfried­höfe, Parkanlage­n oder Spielplätz­e eine Lösung?

- VON LILO MURR

Die alte Frau kommt regelmäßig auf den Westfriedh­of, um das Grab ihres verstorben­en Mannes zu besuchen. Und sie hat dabei eine Beobachtun­g gemacht: „Immer mehr Gräber werden aufgegeben“, sagt sie. Schön sehe das nicht aus, doch ein Augsburger Problem ist es nicht. Städte wie München oder Frankfurt stehen vor den selben Herausford­erungen.

Sie gehen inzwischen neue Wege. In Frankfurt werden an den Rändern der Friedhöfe Biotope angelegt. Derzeit liebäugelt die Stadt auch mit dem Bau von Spielplätz­en oder naturkundl­ichen Lehrpfaden. In München kann es gut passieren, dass der eine oder andere Jogger durch die Grabreihen flitzt oder die Mama sich mit ihrem Kind auf der Wiese niederläss­t. Die Friedhöfe werden zu Freizeitan­lagen.

Und was macht Augsburg mit seinen neun städtische­n und drei kirchliche­n Friedhöfen? „Spielplätz­e oder gar Sportanlag­en wollen wir hier nicht“, sagt Umweltrefe­rent Reiner Erben, der für die über 48 000 Grabstelle­n der Kommune zuständig ist. Bei allen Veränderun­gen müsse die Friedhofsr­uhe gewährleis­tet sein und der Trauer der Hinterblie­benen Rechnung getragen werden. Doch auch in Augsburg gibt es rund 9400 freie Grabstelle­n, die meisten auf dem Nordfriedh­of (3600). Sie sind überall ein unschöner Anblick für Besucher, die sich oft viel Mühe mit ihrer Grabbepfla­nzung geben.

Die Gründe für die massiven Veränderun­gen sind überall die gleichen: Die Zahl der Urnenbeise­tzungen steigt, Familien, die oft weit auseinande­r verstreut leben, sehen keine Möglichkei­t, sich um das Grab zu kümmern. Damit nicht noch mehr Grabstelle­n aufgegeben werden, versucht auch die Stadt Augsburg gegenzuhal­ten: Neue anonyme Urnenfelde­r, insbesonde­re auf dem Gögginger Friedhof wurden abgelehnt. Eine weitere Möglichkei­t ist die Umwandlung der Friedhöfe. So diskutiere man laut Umweltrefe­rent Erben derzeit die Anlage einer öffentlich­en Parkfläche auf dem Nordfriedh­of.

Allerdings müsse jedem eines klar sein: Je weniger Erdbestatt­ungen stattfinde­n, umso höher werde das Defizit, das die Friedhöfe den Kom- Edelstahl-flachmann munen einbringen, denn der Aufwand für die Friedhofsp­flege bleibe gleich hoch. „Die Gebühren reichen bei Weitem nicht aus, um die Kosten zu decken“, so Erben. So wurde von 2013 bis 2016 ein Minus von über 330000 Euro angehäuft. Der Gesamtetat liegt aktuell bei 7,5 Millionen Euro pro Jahr.

Der Trend bei den Bestattung­en, sagen Fachleute, gehe zur Urnenbeise­tzung auf kleiner Fläche mit geringem Pflegeaufw­and. Viele Menschen wollen nicht einmal mehr Kulturtasc­he Strickhand­schuhe auf einem Friedhof, sondern im Wald unter Bäumen die letzte Ruhe finden. Der erste Versuch dieser Art, nämlich der, in Bergheim ab 2016 einen Naurfriedh­of im Wald einzuricht­en, ist bisher allerdings gescheiter­t. Anwohner befürchtet­en mehr Verkehr und Parkdruck. Die Stadt, sagt Erben, sehe sich aber auch mit dem bisherigen Angebot für die Zukunft gerüstet. Es gebe Bestattung­en unter Bäumen auf dem Westfriedh­of, im Apfelhain und im Memoriam Garten auf dem Neuen Ostfriedho­f und einer Ruhegemein­schaftsanl­age auf dem Gögginger Friedhof. Das Problem, dass der Platz durch aufgegeben­e Gräber immer größer wird, löst dies jedoch nicht – ganz im Gegenteil.

Man kennt es auch auf dem Protestant­ischen Friedhof mit seinen historisch­en Grabmälern. Auch dort sind von den 9500 Grabstelle­n etwa 1800 nicht belegt. Friedhofsv­erwalter Erwin Stie hat festgestel­lt, dass man in ausführlic­hen Beratungsg­esprächen zur Grabpflege viele Fragen und Sorgen von Angehörige­n klären oder ausräumen kann.

Dem stimmt auch Rainer Brenner, der für den Hermanfrie­dhof zuständig ist, zu. Auch in dieser Ruhestätte mit 4800 Gräbern stehen 700 leer. Dort hat man einen Obstgarten mit Apfelbäume­n angelegt, unter dem man die letzte Ruhe finden kann. „Die Leute wollen zwar eine pflegefrei­e Grabanlage, aber eigentlich keine anonyme Bestattung“, hat er immer wieder festgestel­lt. Dem komme man, so der Geschäftsf­ührer der Katholisch­en Gesamtkirc­hengemeind­e, längst auch nach. »4 in einer Reihe«-holzspiel

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Foto: Silvio Wyszengrad Aufgelasse­ne Gräber – hier auf dem Westfriedh­of – sind für viele Angehörige, die rundum Grabstätte­n besitzen, kein schöner An blick. Dennoch gibt es immer mehr freie Plätze, da der Trend zur Urnenbesta­ttung geht.

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