Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Natur Dorf

Umwelt Die meisten Gemeinden wollen möglichst viel Gewerbe ansiedeln. Das unscheinba­re Kettershau­sen im Unterallgä­u verfolgt ein ganz anderes Ziel

- VON DOROTHEA SCHUSTER

Kettershau­sen Kettershau­sen ist ein eher unscheinba­rer Ort mit einer Kirche, aber ohne Zentrum, geplagt vom Verkehr der stark befahrenen B300. Der Metzger hat geschlosse­n, das Nötigste – auch Obst und Gemüse – gibt es zu kaufen. Doch der Ort im Unterallgä­u will in den nächsten Jahren von sich reden machen.

Kettershau­sen mit seinen rund 1850 Einwohnern hat sich nämlich ein Ziel gesetzt: Es will „Natur-gemeinde“werden. Ein Titel, den es bislang in Bayern nicht gibt. Ein Titel, den sich die Gemeinde selbst geben will. Ein Titel, mit dem die Verantwort­lichen im Rathaus zahlreiche Maßnahmen zum Schutz der Natur rund um Kettershau­sen verbunden haben, vor denen selbst anerkannte Naturschüt­zer den Hut ziehen. Anton Burnhauser, der bei der Regierung von Schwaben über drei Jahrzehnte für den Natur- und Artenschut­z kämpfte, hofft, dass viele andere dem mutigen Beispiel folgen. Während die meisten Gemeinden also möglichst viel Gewerbe anlocken wollen, setzt Kettershau­sen voll auf die Natur.

Bei der letzten Kommunalwa­hl bekam der Ort eine neue Bürgermeis­terin: Susanne Schewetzky (CSU), hauptberuf­lich Kulturrefe­rentin der Stadt Illertisse­n. Und einen nahezu komplett erneuerten Gemeindera­t. Zu zwei Altgedient­en kamen zehn Neue. In ihre Aufgaben haben sie mithilfe von Klausurtag­ungen und Workshops gefunden. Es ging darum, ihre Heimat zukunftsfä­hig zu machen. Der Gemeindera­t unternahm eine Exkursion in die „Biodiversi­tätsgemein­de Tännesberg“in der Oberpfalz, auch sie ist einmalig in Bayern. „Wir müssen uns nicht verstecken, sagt die Bürgermeis­terin. Sie hat in München Geisteswis­senschafte­n studiert und ist vor acht Jahren nach Kettershau­sen zurückgeke­hrt. Ihre Heimat bedeutet ihr viel. Sie ist kein Stadtmensc­h und sieht heute bei einem Spaziergan­g im Günztal vieles mit anderen Augen.

Kettershau­sen hat großes Potenzial, ist die Bürgermeis­terin überzeugt. Unter anderem verfügt der Ort über ein großes Naturschut­zgebiet, das Kettershau­ser Ried, mit artenreich­en Orchideenw­iesen im Frühjahr und Lebensraum für totholzlie­bende Tiere und Pflanzen. Die Gemeinde besitzt außerdem einen großen entwicklun­gsfähigen Kommunalwa­ld.

Und nun kommt eine Naturschut­zstiftung ins Spiel, ein idealer Partner für die ambitionie­rte Gemeinde. Die Stiftung Kulturland­schaft Günztal mit Sitz in Ottobeuren. Für ein innovative­s Grünlandpr­ojekt wurde sie von der Deutschen Bundesstif­tung Umwelt (DBU) mit Geld ausgestatt­et. Zwölf Landwirte konnten 2017 zur Mitarbeit gewonnen werden. Die Resonanz war überwältig­end, sagt Projektbet­reuer Sebastian Hopfenmüll­er. Entlang der Gewässer wurden 2,8 Kilometer Randstreif­en angelegt und Heuwiesen mit Blühmischu­ngen eingesät. Ein Meilenstei­n für die Artenvielf­alt im Günztal. Auf einer extensiv genutzten Weide steht Original Braunvieh, eine alte wiederbele­bte Allgäuer Rasse. Ein großer Acker wird auf Privatinit­iative bald aufblühen.

Die Gemeinde war sich schnell einig mit der Stiftung, die sich dem Le- bensraum Günztal unter dem Motto „Biotopverb­und von der Quelle bis zur Mündung“verschrieb­en hat. Und sie nahm Geld in die Hand. Pro Jahr stehen jetzt 10000 Euro für die Anlage von Randstreif­en, Heuwiesen, Saumzonen und die Ansaat mit artenreich­en Blühmischu­ngen zur Verfügung. Das Interessan­te für die Bauern: Sie haben eine private Vereinbaru­ng und sind nicht an starre staatliche Förderprog­ramme gebunden. Der Einsatz für die Natur erfolgt ohne Zwang. In Absprache mit der Gemeinde können die Flächen auch drei Tage früher gemäht werden, wenn es das Wetter erfordert.

Zudem hat die Gemeinde ein Planungsbü­ro mit einem umfassende­n Vitalitäts­check der Infrastruk­tur beauftragt. Es sollen keine neuen Flächen verbraucht, keine Gewerbegeb­iete ausgewiese­n, sondern es soll das vorhandene Potenzial genutzt werden. Ein Augenmerk richtet sich auf ältere Gebäude und eine zeitgemäße und zukunftsfä­hige Nutzung. Schewetzky freut sich über den Gestaltung­sspielraum. Mit ihrem „jungen“ Gemeindera­t setzt die 40-Jährige auf die Dorferneue­rung, die in den nächsten Jahren starten soll. Das Dorfleben soll angekurbel­t und der Erlebniswe­rt erhöht werden. Ein brennendes Thema ist die B300. Die Verkehrsac­hse Augsburg-memmingen ist eine große Belastung für die Anwohner. Bei einem Termin mit der Obersten Baubehörde soll ausgelotet werden, ob eine Verengung der Bundesstra­ße Entlastung bringen könnte.

Landrat Hans-joachim Weirather (Freie Wähler) lobt die Bürgermeis­terin und den Gemeindera­t. Das Unterallgä­u ist ein landwirtsc­haftlicher Brennpunkt: Die fruchtbare­n Böden und die Niederschl­äge ermögliche­n sechs Schnitte im Jahr. Das geht zu Lasten der Artenvielf­alt. In Weirathers Jugend waren es drei bis vier. Die Folge: „Der Löwenzahn blüht und sonst nichts mehr.“Umso wichtiger sei es, dass es in der Günz-aue eine naturvertr­ägliche Landwirtsc­haft gibt und sich bald wieder Blumenwies­en mit Blutströpf­chen ausbreiten und man Zitronenfa­lter fliegen sieht. »Kommentar

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Foto: Gemeinde Kettershau­sen Kettershau­sen im Unterallgä­u: Der Ort hat rund 1850 Einwohner und eine Kirche. Aber kein Zentrum und keinen Metzger mehr. Kettershau­sen will sich jetzt zur „Natur Gemeinde“machen.
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S. Schewetzky

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