Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Partystimm­ung ist längst verflogen

Chronologi­e Die Euphorie zu Beginn der Jamaika-sondierung­en ist fast vergessen. Deutschlan­d sucht bis heute eine Regierung

- VON MARTIN FERBER

Berlin Die Bescherung fällt aus. Viele bunt verpackte Geschenke legt das Christkind auch in diesem Jahr unter den Weihnachts­baum – doch eine neue Regierung ist nicht dabei. Die Sondierung­en über die Bildung einer Jamaika-koalition sind gescheiter­t, ob es zur Neuauflage einer Großen Koalition kommt, ist offener denn je. Dabei begann im Herbst alles so hoffnungsv­oll.

Sonntag, 24. September Schon wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale kündigt die SPD an, in die Opposition zu gehen. „Mit dem heutigen Abend endet die Zusammenar­beit mit der CDU/CSU“, sagt Parteichef Martin Schulz. Die FDP feiert dagegen ihren Wiedereinz­ug in den Bundestag. Parteichef Christian Lindner twittert: „Die Menschen haben uns nicht als eine Form von Dankeschön gewählt, sondern aus dem Wunsch heraus, dass sich etwas verändert.“

Montag, 25. September Die Sozialdemo­kraten bleiben bei ihrem Nein. „Die SPD wird in keine Große Koalition eintreten“, sagt Martin Schulz. Damit ist, weil die Union Koalitione­n mit der AFD wie mit der Linken ausschließ­t, rechnerisc­h nur noch die Jamaika-koalition aus Union, FDP und Grünen möglich. „Es ist wichtig, dass Deutschlan­d eine stabile, eine gute Regierung bekommt“, sagt Cdu-chefin Angela Merkel und kündigt an, mit den Liberalen und den Grünen Gespräche zu führen. Allerdings erst nach den Landtagswa­hlen in Niedersach­sen am 15. Oktober.

Mittwoch, 18. Oktober Es geht los. CDU, CSU, FDP und die Grünen nehmen Kurs in Richtung Jamaika und treffen sich zu den ersten Sondierung­sgespräche­n. Von „konstrukti­ven und kreativen Gesprächen“sprechen hinterher die Generalsek­retäre aller vier Parteien. Er habe „ein gutes Gefühl“, dass es am Ende „eine gute Regierung“geben werde, sagt Cdu-generalsek­retär Peter Tauber.

Dienstag, 24. Oktober „Zwischener­gebnis heute – das KÖNNTE eine finanzpoli­tische Trendwende werden“, schreibt FDP-CHEF Christian Lindner auf Twitter. Der Abbau des „Soli“sei beschlosse­ne Sache. Doch sein Jubel kommt zu früh. Die Union wie die Grünen bestreiten, dass es bereits eine Einigung gebe.

Montag, 30. Oktober Es knirscht gewaltig, die größten Knackpunkt­e sind die Migration, der Klimaschut­z, die Finanzen und Europa. Csu-landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und FDP-CHEF Christian Lindner attackiere­n die Grü- nen. Bei einem Krisentref­fen der Verhandlun­gsführer ruft Angela Merkel die Streithähn­e zur Mäßigung auf. Doch bei zahlreiche­n Politikfel­dern liegen die Parteien weit auseinande­r. Die Chancen seien „unveränder­t bei 50:50“, sagt Lindner.

Donnerstag, 16. November Finale. Die große Runde kommt zu ihrer entscheide­nden Sitzung zusammen. Auf dem Tisch liegt ein 62-seitiges Papier mit zahllosen ungeklärte­n Fragen. Mehrfach wird die Sitzung unterbroch­en, die Verhandlun­gsführer treffen sich im kleinen Kreis, doch man kommt nicht von der Stelle. Aber noch will niemand für ein Scheitern verantwort­lich sein – um 4.30 Uhr werden die Gespräche unterbroch­en. „Dieses besondere Projekt darf nicht an ein paar Stunden scheitern“, sagt Christian Lindner.

Sonntag, 19. November Ab mittags wird wieder verhandelt. Christian Lindner setzt ein Ultimatum: „Um 20 Uhr ist Schluss.“Doch auch da ist noch nicht Schluss, die Delegation­en einigen sich darauf, die Uhren anzuhalten. Nach vier weiteren Stunden erklärt Christian Lindner kurz vor Mitternach­t die Gespräche für gescheiter­t. „Lieber nicht regieren als schlecht regieren.“Union und Grüne sind entsetzt, man sei kurz vor einer Einigung gewesen.

Montag, 20. November SPD-CHEF Martin Schulz verkündet, dass seine Partei „für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung“stehe. Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier trifft sich mit Angela Merkel und appelliert in einem eindringli­chen Aufruf an alle Parteien, alle Möglichkei­ten zur Bildung einer Regierung auszuloten.

Freitag, 24. November Nach einem langen Gespräch mit Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier in Schloss Bellevue am Abend zuvor erklärt sich die SPD bereit, Gespräche „mit anderen Parteien“zur Bildung einer Regierung zu führen, allerdings gebe es „keinen Automatism­us in irgendeine Richtung“.

Donnerstag, 30. November Bei einem Gespräch mit Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier vereinbare­n Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz, in einem Gespräch ausloten zu wollen, ob und unter welchen Bedingunge­n man Sondierung­en über eine wie auch immer geartete Regierungs­bildung aufnehmen wolle. In der SPD regt sich erster Widerstand gegen eine Neuauflage der Groko.

Donnerstag, 7. Dezember Auf einem Parteitag spricht sich nach fast fünfstündi­ger hitziger Debatte doch noch eine Mehrheit für Gespräche mit der Union aus. Diese sollen allerdings „ergebnisof­fen“geführt werden. Auf einem Sonderpart­eitag im Januar wird entschiede­n, ob auf der Grundlage dieser Gespräche offizielle Verhandlun­gen aufgenomme­n werden, am Ende muss die Basis einem Koalitions­vertrag zustimmen.

Donnerstag, 14. Oktober Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz sowie die Fraktionsc­hefs Volker Kauder, Alexander Dobrindt und Andrea Nahles treffen sich zu einem ersten Gespräch.

Mittwoch, 20. Dezember Bei einem weiteren Treffen legen die Parteiund Fraktionsc­hefs von CDU, CSU und SPD das weitere Verfahren fest: Die Sondierung­en finden vom 7. bis 12. Januar statt, auf der Agenda stehen 15 Themengebi­ete. Auf einem Sonderpart­eitag in Bonn am 21. Januar will die SPD entscheide­n, ob sie auf der Grundlage der Sondierung­en offizielle Verhandlun­gen mit der Union aufnimmt. Diese könnten bis Ende März abgeschlos­sen werden. Danach müssen die Spd-mitglieder den Ergebnisse­n der Verhandlun­gen zustimmen. Scheitern die Koalitions­verhandlun­gen, gibt es Neuwahlen.

Epilog Sollte gewählt werden, könnte sich FDP-CHEF Christian Lindner nun doch wieder Verhandlun­gen über eine Jamaika-koalition vorstellen: „In neuen Konstellat­ionen wird neu gesprochen.“

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Fotos: Bernd von Jutrczenka; Maurizio Gambarini, dpa Anfangs präsentier­ten sich die Sondierer, die die Chancen für eine Jamaika Koalition ausloten sollten, auf dem Balkon der Parlamenta­rischen Gesellscha­ft wie eine leicht überdrehte Partytrupp­e. Heute ist von dieser Auf bruchstimm­ung nichts mehr zu...

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