Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
In einer Welt voller Musikbegeisterter
Langzeitreportage Marius Herb will Organist werden. In Regensburg hat er dafür den besten Ort für sich gefunden
Marius Herb ist erwachsener geworden. Er tritt selbstbewusster auf und hat seine Welt gefunden, eine Welt voller Musikbegeisterter. Marius möchte Organist werden, er studiert im dritten Semester an der Hochschule für katholische Kirchenmusik in Regensburg. An kaum einem anderen Ort in Bayern hat er dafür so gute Voraussetzungen.
Marius wirft sich voll und ganz in dieses Studium, er weiß, dass er darin das Fundament für die vielen Jahre später im Beruf legen muss. Bei einem Treffen im Januar 2017 in seinem Elternhaus in Hirblingen hat sich das wie folgt geäußert: Nach dem Abendessen zog sich Marius in sein Kinderzimmer im ersten Stock des Reihenhauses zurück, fortan lieferte er die Hintergrundmusik im Haus – von seiner Heimorgel aus. Seine Eltern Helmut und Jutta Herb erzählten, dass er an den Samstagen oft von früh bis spät spiele, Familienausflüge an den Wochenenden – schwierig zu organisieren. Marius will üben, das ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen.
Besuch in Regensburg mit Marius’ Mutter Jutta Herb, ein trüber Tag im Dezember, aber Marius freut es, dass das Wetter Schnee und Regen bereithält. Er will mit dem Auto zurückfahren. Im Januar hat er seinen Führerschein gemacht – mit 17. Er darf fahren, aber nur mit einer Begleitperson als Beifahrer. Schlechtes Wetter, Schneefall, auch dem will sich Marius so früh wie stellen, dieser Eifer hat bei ihm System.
Der Kammerchor probt gerade, während Marius durch die Hochschule führt. Er öffnet die Türen, zu den Probesälen sind es immer zwei, um den Schall zu dämpfen. Im Erdgeschoss sind die Orgeln, im ersten Stock die Klaviere und unter dem Dach ist das Studentenwohnheim, in dem Marius ein Zimmer hat. An seiner Zimmerwand ist auf die Tapete eine schwungvolle Unterschrift geklebt: Johann Sebastian Bach, „ein Geschenk meiner Schwester“, sagt Marius. Wieder auf dem Gang kommt ihm eine Studentin entge- gen, die leere Pizzakartons Müll balanciert. „Eine Party gestern“, sagt Marius.
Die Hochschule ist eine Welt für sich, Marius könnte sich tagelang nur hier zwischen seinem Zimmer und den Unterrichts- und Proberäumen bewegen. Er will das aber nicht, nur Hochschule und nichts anderes, das ist zu wenig. „Dann dreht sich alles im Kopf.“Also geht er regelmäßig spazieren, das Wetter spüren, laufen und vielleicht einmal auch über etwas anderes als Musik nachdenken.
Wie selbstverständlich es für Marius ist, Verantwortung zu übernehmöglich Richtung kleine men, zeigt Folgendes: Er ist zu einem der Studentensprecher für die ganze Hochschule gewählt worden. Marius hilft dabei, Veranstaltungen der Hochschule zu organisieren, und ist gleichzeitig derjenige, der die Mitstudenten dazu bringen soll, auch anzupacken. Eine Aufgabe, um die sich nicht jeder reißt.
Richtig glücklich wirkt Marius an diesem Freitag im Dezember aber nicht. Ihm ist ein Malheur passiert. Zu Hause bei seinen Eltern zieht er um, vom 1. Stock ins Dachgeschoss. Das Zimmer seiner Schwester ist frei geworden. Und eine der ersten Taten war, die Orgel nach oben zu tragen. Nur Marius und sein Vater Helmut. Aber dieser Kraft- und Gewaltakt hat seine Spuren hinterlassen. Marius konnte seitdem nicht mehr üben – Schmerzen im Unterarm. Und bei jeder Orgel, die er in der Hochschule vorführt und die er auch kurz spielt, spürt er es wieder.
Also zurück nach Hirblingen. Marius fährt und legt noch einen Abstecher zum Kloster Weltenburg ein. Im Klosterladen kommt er mit dem Benediktinermönch Pater Lukas ins Gespräch. Ein paar Minuten später sitzt Marius an der 300 Jahre alten Orgel in der Barockkirche und spielt. Er kann es nicht lassen. Nur ein paar Minuten. In den leisen Passagen hört man das Klappern der Mechanik zur Musik. Ihn stört es nicht. „Das Instrument ist perfekt, so wie es ist.“Ein bisschen versöhnter mit der Woche fährt Marius durch Schnee, Regen und die Dunkelheit heim.