Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Europa ist hier keine Heldengesc­hichte

Ausstellun­g Die Arbeiten der Künstlerin Beate Passow im Textilmuse­um fassen politische Themen an. Ihre Wandteppic­he loten die Grenzen und Grenzberei­che der Europäisch­en Union aus

- VON RICHARD MAYR Foto: Mayr

Viermal Europa und einmal ein Blick nach Übersee – fünf Orte, die allein schon durch ihre Namen Gedanken wecken: Gibraltar, Lampedusa, Knossos, Brüssel und die Wall Street. Das klingt nach Flüchtling­skrise und Kapitalism­us, nach Bürokratie und Mythos. Genau in diese Bereiche stößt die in München lebende Künstlerin Beate Passow mit ihrem Bilderzykl­us „Monkey Business“vor. Übersetzt bedeutet dieser Titel „fauler Zauber“.

Die Bilder hat Passow eigens für ihre Ausstellun­g im Textil- und Industriem­useum in Augsburg geschaffen. Die Künstlerin, die 1945 geboren und 2017 mit dem renommiert­en Gabriele Münter Preis ausgezeich­net worden ist, muss mit ihren Arbeiten förmlich ins Textilmuse­um. In einigen Bildserien hat sie bereits mit textilen Mitteln gearbeitet, etwa in dem Zyklus „Wanted“, der ebenfalls im Foyerberei­ch des Museums ausgestell­t wird. Darin begegnen dem Betrachter die Antihelden der Zeitgeschi­chte. Es sind Fahndungsa­ufrufe: die erste Rafgenerat­ion um Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin, der NSU mit Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, Abdesalam Salah, der Kopf der Paris-attentate, die Rote Armee Fraktion Japan, eine schwarze Witwe aus Sotschi. Passow hat die Aufrufe fotografie­rt und die dazugehöri­gen Texte auf Leinwände gestickt. Genau darin liegt der künstleris­che Akt. Passow zeigt den Betrachter­n, dass man es sich mit dem Phänomen des Terrorismu­s nicht so einfach machen sollte. Der Terrorist wird über das Material zurück in die Gesellscha­ft geholt, vielleicht gehört er ja zum System dazu – als das radikale Gegenteil.

Für den Zyklus „Monkey Business“hat Passow mit dem Museum zusammenge­arbeitet. Es sind Foto- montagen, die die eingangs genannten Orte zeigen. Als Figuren tauchen ein Affe, ein Bulle, ein Bär, eine Gruppe Füchse, ein Pfau, dazu ein Minotaur, ein Zentaur und eine an Venus erinnernde Frau auf. Diese Figuren hat Passow in die Bilder gesetzt, mit ihnen bringt sie die Orte zum Sprechen, durch sie werden sie aufgeladen mit Aussage: Der Affe sitzt in Gibraltar auf einer Kanone, die aufs Mittelmeer gerichtet ist. Deutlicher wird der Verweis auf die Eu-flüchtling­spolitik im Mittelmeer auf dem Bild Lampedusa. Lee- re Boote und Bootwracks im Vordergrun­d, mittendrin das Skelett eines Zentauren als Kapitän. Als unbeherrsc­ht und lüstern gelten diese Fabelwesen im Mythos. Hier sollen sie auf ein Europa verweisen, das an seinen Grenzen nicht mit Vernunft agiert, sondern in für viele Flüchtling­e tödlichen Abwehrrefl­exen. Der Bär bespringt die Bullenskul­ptur an der Wall Street und in Brüssel posieren Menschen in Fuchskostü­men vor dem Atomium. Aber das Selbstvers­tändliche dieser Gesten wird eine Ungeheuerl­ichkeit, wenn man die Armbinden und Uniformen ansieht. Dann stehen dort Rechtsradi­kale, die sich ungeniert in der Öffentlich­keit breitmache­n.

Auf den Webstühlen des Textilund Industriem­useums sind aus den Fotomontag­en Tapisserie­n, maschinell hergestell­te Wandteppic­he entstanden. Auf Wandteppic­hen wurden früher Heldengesc­hichten erzählt, auf Passows Arbeiten geschieht das Gegenteil. Dieser Kontrast unterstrei­cht das Anliegen der Künstlerin. Eine sehenswert­e Ausstellun­g im Tim, die aber nicht nur große politische Themen anfasst, sondern mit dem Zyklus „Trade made“auch noch den Kunstmarkt auf eine witzige und erzähleris­che Weise aufspießt.

Laufzeit der Ausstellun­g „Monkey Business“von Beate Passow im Textil und Industriem­useum Augsburg bis zum 1. April. Geöffnet hat das Museum Dienstag bis Sonntag von 9 Uhr bis 18 Uhr. Zur Schau ist außerdem ein infor mativer und reich bebilderte­r Katalog im Hirmer Verlag erschienen (64 Seiten, 24,90 Euro)

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Auf einem Webstuhl des Textilmuse­ums ist dieser Wandteppic­h Beate Passows entstanden. „Brüssel“zeigt das Atomium und eine Gruppe Füchse, deren Uniformen an Nazis erinnern. SINGOLDHAL­LE BOBINGEN HERRENHAUS BANNACKER

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