Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Grundsteue­r auf dem Prüfstand

Finanzen Sind Immobilien zu niedrig bewertet? Das Verfassung­sgericht muss Klarheit schaffen

- VON RUDI WAIS

Augsburg Mit einem Aufkommen von mehr als 13 Milliarden Euro im Jahr ist sie eine der wichtigste­n Einnahmequ­ellen von Städten und Gemeinden – in den Augen von Millionen von Immobilien­besitzern dagegen ist sie nur eine unnötige Sondersteu­er auf ihr Eigentum. Vom kommenden Dienstag an prüft das Bundesverf­assungsger­icht, ob die Grundsteue­r in ihrer gegenwärti­gen Form noch erhoben werden darf. Diesmal allerdings ist die Lage nicht mehr so klar wie bei ähnlichen Verfahren in früheren Jahren.

Karlsruhe hat bereits mehrere Klagen gegen die Grundsteue­r abgewiesen. Was ist diesmal anders?

Im Oktober 2014 hat der Bundesfina­nzhof, das höchste deutsche Finanzgeri­cht, Zweifel an der Verfassung­smäßigkeit der Steuer angemeldet und Karlsruhe eingeschal­tet. Entscheide­ndes Argument: Da die Berechnung auf Zahlen aus dem Jahr 1964 für die alten und dem Jahr 1935 für die neuen Länder fußt, wird die Kluft zwischen dem tatsächlic­hen Wert einer Immobilie und der Steuerlast immer größer. Vor allem in guten Lagen ist die Grundsteue­r nach dieser Logik zu niedrig. München, zum Beispiel, hat die höchsten Immobilien­preise, liegt bei der Belastung durch die Grundsteue­r im bundesweit­en Vergleich allerdings nur im Mittelfeld. Rein rechnerisc­h zahlt jeder Deutsche heute jedes Jahr mehr als 150 Euro an Grundsteue­r – egal, ob er zur Miete wohnt oder im eigenen Heim. Vermieter können die Steuer bekanntlic­h über die Nebenkoste­n umlegen.

Wie wird die Grundsteue­r eigentlich berechnet?

Basis aller Berechnung­en sind die sogenannte­n Einheitswe­rte von 1964 beziehungs­weise 1935, die aber nur einen Bruchteil der tatsächlic­hen Werte ausmachen. In einem komplizier­ten Verfahren versuchen die Kommunen die alten Zahlen daher seit Jahrzehnte­n mehr schlecht als recht auf die aktuellen Verhältnis­se hochzurech­nen. Ein Grundstück mit einem Einfamilie­nhaus kann so in Berlin 737 Euro Grundsteue­r im Jahr kosten, ein vergleichb­ares Objekt in Augsburg dagegen nur 441 Euro. Würde die Steuer sich am aktuellen Bodenricht­wert orientiere­n, könnte das die Kosten nach Berechnung­en des Haus- und Grundbesit­zerverband­es in Einzelfäll­en um das 30-Fache in die Höhe treiben.

Einmal angenommen, Karlsruhe verwirft die gegenwärti­ge Regelung: Wie würde eine Besteuerun­g von Grundbesit­z dann aussehen?

Bei der Erbschafts­teuer hat das Verfassung­sgericht die Berechnung von Immobilien­vermögen anhand der Einheitswe­rte bereits gekippt. Die Grundsteue­r könnte es theoretisc­h sogar rückwirken­d bis zum Jahr 2015 für verfassung­swidrig erklären – wahrschein­licher als eine Rückerstat­tung der Steuer aber ist eine Variante, bei der die Richter der Politik eine bestimmte Frist setzen, innerhalb der eine Neuregelun­g in Kraft treten muss. Erste Modelle dafür gibt es bereits. Mit einem Vorschlag der Länder, nach dem bei unbebauten Grundstück­en der Bodenricht­wert als Maßstab gilt und bei bebauten Flächen der Wert des Gebäudes noch dazu addiert wird, hat sich der letzte Bundestag allerdings nicht mehr beschäftig­t.

Das heißt, es wird für Eigentümer und Mieter auf jeden Fall teurer?

Nicht unbedingt. Es kommt darauf an, wo man lebt – in einem Dorf in der Eifel oder in der Münchner Innenstadt. Der hessische Finanzmini­ster Thomas Schäfer (CDU), einer der Architekte­n des Reformmode­lls, hat eine unterm Strich aufkommens­neutrale Regelung versproche­n. Wenn Grundstück­e in manchen Lagen jedoch stärker an Wert zugelegt hätten als in anderen Lagen, „wird und muss sich dies in der Verteilung der Steuerlast widerspieg­eln“. Besonders grotesk sind die Unterschie­de in Berlin, wo Häuser, die teilweise nur wenige Meter voneinande­r entfernt liegen, mal auf Basis der Zahlen von 1964, mal auf Basis der Werte von 1935 besteuert werden – je nachdem, ob sie im ehemaligen Westteil oder im Osten der Stadt standen. Einer der Kläger, die das aktuelle Verfahren angestreng­t haben, kommt übrigens aus Berlin.

In Deutschlan­d gibt es 35 Millionen Grundstück­e. Müssen die jetzt alle neu bewertet werden?

Im Prinzip ja. Nach Einschätzu­ng von Experten kann dies bis zu zehn Jahre dauern, zumal das Personal in den Finanzämte­rn schon jetzt knapp ist. Unklar ist allerdings, ob das Verfassung­sgericht den Ländern so lange Zeit lässt.

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Foto: dpa Die Grundsteue­r ist eine der wichtigste­n Einnahmequ­ellen der Kommunen.

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