Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Pouya ist in Deutschland angekommen
Schicksal Der Afghane, der 2017 das Land verlassen musste, hat geheiratet und ein Visum für zwei Jahre erhalten. Kommende Woche beginnt er die Arbeit am Theater in Darmstadt. Dort trifft er auf einen alten Bekannten
Eine lange Reise ist zu Ende gegangen. Neun Jahre hat sie gedauert. So fühlt es sich für Ahmad Shakib Pouya Raufyan an. 2009 hat er sich in Afghanistan auf den Weg gemacht, weil er in seinem Geburtsland nicht mehr bleiben konnte. In dem Jahr starb sein Vater, als eine Handgranate in seine Wohnung geworfen wurde. Der heute 34-Jährige hatte Angst um sein Leben und machte sich auf den Weg. Heute hat er ein Visum in der Tasche, das zwei Jahre gültig ist. „Ich bin angekommen. Endlich“, sagt er und lächelt. Die Angst und Anspannung in seinem Gesicht, die ihn in all den Jahren begleitet hat, ist der Lebensfreude gewichen. „Endlich kann ich ein normales Leben führen, normal leben, normal arbeiten, normal Freunde und Familie treffen.“
Eine Normalität war sein Leben in den vergangenen Jahren nicht. Im Januar 2017 hatte der Afghane, den in Augsburg alle Pouya nennen, in die afghanische Hauptstadt Kabul ausreisen müssen. Seine Duldung nicht verlängert worden, er erhielt von der Zentralen Ausländerbehörde in Augsburg die Aufforderung zur Ausreise. Ein Antrag bei der bayerischen Härtefallkommission, eine Online-petition mit rund 30000 Unterschriften und Berichte in verschiedenen deutschen Medien konnten das nicht verhindern.
Mehrere Wochen verbrachte er damals in verschiedenen Verstecken in Kabul. Rückblickend hatte diese Zeit auch etwas Gutes, weiß er heute. „Ich habe meine Mutter nach acht Jahren wieder gesehen. Das war das Schönste an dem Aufenthalt“, sagt er. Außerdem habe er in der Zeit festgestellt, wie viele Freunde er in Deutschland gewonnen hat. Menschen, die mit ihm tagtäglich über Whatsapp in Kontakt blieben und ihm Mut zusprachen. „Der Münchner Musiker Albert Ginthör hat mich nach Afghanistan begleitet. Er hat sein Leben für mich riskiert“, betont er.
Nach 55 Tagen durfte er wieder nach Deutschland fliegen Diese Erfahrung hat ihn stark gemacht, es war in den vergangenen neun Jahren eine von vielen. „Durch die Armee und das Reisen wirst du zum Mann, heißt ein Spruch in Afghanistan. Mich hat das Reisen stark gemacht.“
Durch reinen Zufall landete er bei seiner Flucht 2009 in Deutschland. „Eigentlich wollte ich in die Niederlande, weil ich da Verwandte habe, oder nach Frankreich, weil ich in Afghanistan für Franzosen gearbeitet hatte.“Von der Polizei wurde er allerdings in Lindau aufgegriffen und landete in der Folge in Augsburg. Aus dem Zufall wurde Glück, wie er es heute nennt.
Denn hier lernte er viele Freunde kennen, konnte als Künstler tätig sein und baute sich viele Kontakte zu anderen Künstlern auf – unter anderem zu Oliver Brunner. Der Schauspieldirektor, der 2016 von Augsburg ans Theater in Darmstadt wechselte, holt ihn jetzt für eine Produktion an sein Haus. In dem persischen Stück „Sein Name ist Nasrullah: Sieg Gottes“geht es um die Geschichte eines Menschen, dessen Sehnsucht ihn durch die Wirren des afghanischen Befreiungskampfes gegen Russland, aus den Opiumwar höhlen Kabuls, ins deutsche Sozialsystem katapultiert hat. Es ist eine Geschichte eines Zusammenpralls von Orient und Okzident, Pouya Raufyan wird darin musizieren und eine Sprechrolle übernehmen.
In den vergangenen Monaten hat der Afghane viele Engagements angenommen. Er hatte in Rainer Werner Fassbinders Stück „Angst essen Seele auf“die Rolle des Ali übernommen,
Endlich normal leben und arbeiten
das die Münchner Schauburg zeigte. Am Münchner Gärtnerplatztheater erarbeitete er ein Konzept für ein Musikprojekt für Jugendliche. In den vergangenen drei Monaten war er wieder am Jungen Theater Augsburg beschäftigt. Dort spielte er, wie auch schon in den vergangenen Jahren, unter anderem beim mobilen Stück „Rotkäppchen auf der Flucht“mit.
München und Augsburg sind genauso zu seinem neuen Zuhause geworden, wie auch Frankfurt. Dort lernte er 2016, als er für die IG Metall als Dolmetscher tätig war, seine heutige Frau kennen, eine Deutschafghanin. Damals durfte er sie nicht heiraten, weil Papiere fehlten. Die Hochzeit holte er im November auf dem Frankfurter Standesamt nach. Das Visum erhielt er schließlich vor wenigen Tagen. „Nach drei Jahren kann ich den deutschen Pass beantragen“, sagt er. Das Thema Bleiberecht macht ihm keinen Stress mehr.
Die Rolle des Flüchtlings hat er abgestreift, auch im kulturellen Bereich will er nicht darauf reduziert werden. „Ich bin kein Flüchtling mehr. Ich will für Flüchtlinge kämpfen, aber selber auch neue Rollen ausprobieren.“Dass war lange Zeit nicht möglich – jetzt fühlt er sich frei dafür. Sein Kopf ist voller Ideen: Er arbeitet an einem Album, er will seine Geschichte aufschreiben und er will eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker machen. Sein Traum wäre es, wenn seine Mutter ihn einmal besuchen könnte. „Sie will hier nicht leben, aber sie sollte sehen, wie und wo ich hier lebe, wer meine Freunde sind.“