Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Entspannun­g statt Perfektion

Alltag Wer gleichzeit­ig alles machen möchte – und das auch noch sehr gut –, stößt schnell an seine Grenzen. Ein paar Tipps, wie sich vieles ohne Stress schaffen lässt

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Zu Hause hat es immer picobello auszusehen, auf den Tisch kommt ausschließ­lich selbst gekochtes Essen, dass es auch im Job super läuft, versteht sich von selbst. Es gibt Menschen, die haben besonders hohe Ansprüche an sich, sind im Privaten und in der Arbeit Perfektion­isten. Doch auch bei der Perfektion gilt: Die Dosis macht das Gift. Aber: Man kann gegensteue­rn – und vielleicht sollte man das manchmal tun. Deshalb zum heutigen Wirf-deine-vorsätze-überbord-tag ein Text dazu, wann man Dinge auch mal locker sehen sollte.

„Der Perfektion­ismus wird immer dann zum Problem, wenn es konkurrier­ende Interessen gibt“, erklärt Björn Enno Hermans von der Deutschen Gesellscha­ft für Systemisch­e Therapie, Beratung und Familienth­erapie. „Wer gerne in einer aufgeräumt­en Wohnung lebt und die Zeit hat, das hinzubekom­men, hat kein Problem.“Aber wenn bei ihm die Spülmaschi­ne piept, das dreckige Geschirr sich schon stapelt und das Kind bespaßt werden will, dann wird es schwer, alles perfekt zu erledigen.

Diesen Zwiespalt kennt auch Ilse Maria Lechner. Die Österreich­erin hatte früher im Job eine leitende Position, dann kam der Nachwuchs. „Ich war überrollt davon, wie sehr sich die Situation ändert, wenn man zwei kleine Kinder hat“, erinnert sie sich. „Der Alltag war nicht mehr planbar.“Es kam eine Zeit, in der es Probleme beim Umbau ihres Hauses gab und ihre Eltern beide im Krankenhau­s waren – das war nicht alles zu schaffen und das machte ihr wiederum zu schaffen. Dadurch begann sie „aus der eigenen Überforder­ung heraus“, sich mit dem Thema Perfektion­ismus auseinande­rzusetzen. Heute sind ihre Kinder groß, Lechner bloggt über Perfektion­ismus und berät Frauen, die in ähnlichen Situatione­n sind, wie sie es früher war.

Das Problem betrifft aber nicht nur Frauen, glaubt die Autorin und Sozialpäda­gogin Cornelia Mack. „Frauen reden eventuell mehr darüber, daher könnte der Eindruck entstehen, dass nur sie betroffen sind.“ Wenn die eigenen Ansprüche an sich selbst zu hoch sind, kann das laut Mack weitreiche­nde Folgen haben: Betroffene wollen perfekt dastehen und einen guten Eindruck hinterlass­en, erklärt sie. Das erzeuge Druck und Wut, wenn die Ideale nicht erreicht werden.

So seien Perfektion­isten oft einsam – aufgrund ihres Verhaltens, aber auch weil andere Menschen ihrem Regelwerk kaum genügen können. Außerdem kann Perfektion­ismus im Privaten im schlimmste­n Fall Kontrollzw­änge oder Burn-out verursache­n. Laut Hermans kann der Stress eine Erschöpfun­gsdepressi­on zur Folge haben.

Betroffene können aber gegen- steuern. Der wichtigste Schritt dafür ist, sich den eigenen Perfektion­ismus bewusst zu machen und sich einzugeste­hen, dass man es nicht hinbekomme­n kann. Dann kann man überlegen, wie man die Dinge umsortiere­n und Verantwort­ung abgeben kann. „Dabei kann sich manch einer mit den eigenen Waffen schlagen“, sagt Hermans. Perfektion­isten halten sich gerne an Strukturen oder Listen und das kann man sich zunutze machen: Statt alles sofort erledigen zu wollen, sollte man etwa für die Hausarbeit ein Zeitfenste­r einplanen. So kann man sicher sein, dass es erledigt wird, hat aber nicht mehr den Druck, es sofort machen zu müssen. Wichtig ist: „Die Planung muss realistisc­h sein.“Um sicherzuge­hen, kann man einen guten Freund oder den Partner auf die Liste schauen lassen.

Ähnlich sieht es Lechner. Eine ihrer zentralen Botschafte­n: Mut zur Lücke. Dass sie inzwischen auch mal fünf gerade sein lassen kann, liegt an einem Schlüssele­rlebnis mit ihrem Mann. Ihr Mann habe sie gefragt, wo sie seinen Schlüssel oder seine Geldbörse hingelegt habe. „Ich hatte die Sachen aber nie in der Hand.“Anders als sonst immer, war sie aber nicht auf 180, sondern sagte ihrem Mann klipp und klar: „Es ist dein Schlüssel, ich weiß es nicht.“Ihr Mann habe gelacht und ihr recht gegeben. Da habe sie gemerkt: Das eigene Verhalten zu durchbrech­en, kann ganz einfach sein.

Sie rät, sich bewusst Zeit für sich selbst zu nehmen: eine Tasse Kaffee trinken, eine halbe Stunde spazieren gehen. Denn wer nur versucht, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, weiß oft gar nicht mehr, welche Bedürfniss­e er tatsächlic­h hat. Sie rät, sich zu überlegen, was einem wichtig ist, und diesen eigenen Bedürfniss­en die gleiche Priorität einzuräume­n wie denen von Freunden oder anderen Familienmi­tgliedern. „Meinen Pilatesunt­erricht sollte ich nur dann absagen, wenn wirklich eine Katastroph­e passiert ist“, sagt sie.

Auch Mack hält die innere Haltung für entscheide­nd. „Man muss sich bewusst machen: Der Wert eines Menschen hängt nicht von seiner Leistung ab.“Mit dieser Herangehen­sweise fällt es leichter, die eigenen Ziele herunterzu­schrauben. Und man sollte sich klarmachen: „Für die ersten 80 Prozent auf dem Weg zum Ziel brauche ich genauso viel Energie wie für die letzten 20 Prozent.“

Um sich selbst zu schonen, sollte man sich also mit 80 Prozent begnügen – auch wenn es schwerfäll­t. Dabei ist es manchmal nur die logische Konsequenz, auch mal fünf gerade sein zu lassen. Zum Beispiel: Muss es wirklich so sauber sein, dass man vom Boden essen kann? Man hat ja schließlic­h auch Geschirr.

 ?? Foto: Christin Klose, dpa ?? Im Alltag kann es manchmal gut sein, sich ein bisschen vom Perfektion­ismus zu er holen. Denn alles schafft man selten.
Foto: Christin Klose, dpa Im Alltag kann es manchmal gut sein, sich ein bisschen vom Perfektion­ismus zu er holen. Denn alles schafft man selten.

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