Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Zur Musik wird hier ein Mord
Sinfoniekonzert Béla Bartóks „Wunderbarer Mandarin“ist eine der erbarmungslosesten Partituren der Moderne. Eine Herausforderung für Augsburgs Philharmoniker und ihren Chef
Es gibt Stoffe, die sind zeitlos – leider. Stoffe wie jener, der Béla Bartóks Musik zur Pantomime „Der wunderbare Mandarin“zugrunde liegt. Von Aktualität in den 1910er Jahren, als der Ungar Menyhért Lengyel die „Mandarin“-geschichte schrieb, aktuell in den 20ern, als sein Landsmann Bartók die Musik dazu notierte, und nicht weniger brennend in heutiger Zeit. Was sich hinter dem so exotisch-märchenhaften Titel vom „Wunderbaren Mandarin“verbirgt: Das Drama eines Mädchens, das von drei Zuhältern zur Prostitution gezwungen wird; das zunächst Kunden anlockt, die alle nichts in den Taschen haben; bis dieser sichtlich wohlhabende chinesische Mandarin in der Tür steht – welcher, sinnenverwirrt von den Reizen des Mädchens, das Opfer der hervorstürzenden Zuhälter wird, die an ihm einen Mord begehen. Als Bartóks Stück 1927 in Köln uraufgeführt wurde, verbot der damalige Oberbürgermeister Konrad Adenauer (!) jede weitere Vorstellung wegen angeblicher Unmoral.
Solch einem düsteren Stoff ist natürlich nicht mit Wohlklang beizukommen. Die Härte der Großstadt, dem Nährboden solcher Zwangs- die Angst des Mädchens vor dem, was mit ihr geschieht, die Brutalität der Zuhälter, die den Mandarin regelrecht abschlachten – das alles findet sich bei Bartók orchestral gespiegelt in klirrenden Dissonanzen, einer vielfach wie aus Fetzen gebildeten Melodik und gehetzten Rhythmen. „Der wunderbare Mandarin“ist eine der Meisterpartituren der klassischen Moderne.
Entsprechend hoch sind die Anforderungen an Orchester wie Dirigent. Was da an musikalisch Disparatem alles überein, was an ständigen rhythmischen Wechseln in ein Sinnkontinuum gebracht werden muss! Augsburgs Generalmusikdirektor Domonkos Héja, als gebürtiger Ungar wie als ausgebildeter Schlagzeuger prädestiniert für diese Musik, erwies sich mit klarer Zeichengebung als verlässlicher Rückhalt seiner Philharmoniker – Grundlage einer Interpretation, die als große Erzählung existenzieller Nachtseiten beeindruckte. Fürs Publikum hilfreich dabei die Handreichung, die von Bartók der Partitur beigegebenen Szenenkommentare während der Aufführung – gegeben wurde die Bühnenfassung mit dem Chor-einsatz am Schluss – als Übertitel mitlaufen zu lassen.
So ließ sich etwa Bartóks Kunst der musikalischen Charakterisierung bewundern, wenn er das Geckenhafte des zuerst eintretenden alten Kavaliers durch gestopfte Posaunen zum Ausdruck bringt; oder wenn er das pochende Unbehagen des Mädchens als unruhige Angstrufe der Klarinette in den Mund legt. Momente, in denen die Holzund Blechbläser der Philharmoniker ihr großes solistisches Potenzial plastisch zur Entfaltung zu bringen vermochten. Klug gesetzt von Domonkos
Der Mandarin tappt in die Falle
Héja waren in dem auf immer wieder neue Kulminationspunkte zusteuernden Geschehen die retardierenden Momente, jene musikalischen Abschnitte, in denen kurzzeitig zartere Empfindungen hervordrängen wie beim Eintritt des zweiten Klienten oder beim Liebesausbruch des Mandarins – bevor das Orchester wieder furios nach vorne preschte wie in der Fuge, als der nun wild entbrannte Mandarin des Mädchens habhaft werden will. Eine starke, musikalisch präzise wie emotional expressive Darbietung. Vorausgegangen bei diesem Sinfonieprostitution, konzert in der Kongresshalle war die Uraufführung eines Konzerts von Enjott Schneider (*1950), gewidmet dem in Augsburg am Leopold Mozart Zentrum lehrenden Perkussionisten Stefan Blum. „Machine Worlds“, so der Titel, gibt als eine Art tönender Hommage an den Künstler Jean Tinguely dem Solisten jede Menge klangfähiges Altmetall an die Hand, vom Ölfass über die Gießkanne bis hin zur Schubkarren-wanne. Dazu legt das Orchester einen griffig-bewegten Klanggrund, sodass ein quasi-filmischer Suspense entsteht. Beim Publikum fand das ebenso wie Stefan Blums souverän getrommelte (Eigen-)zugabe deutlich mehr Zuspruch als hernach der „Mandarin“.
Eröffnet worden war der Abend mit Paul Dukas’ Orchesterfantasie „Der Zauberlehrling“nach Goethes gleichnamiger Ballade. Obwohl da bereits die Aufbauten für Schneiders „Machine Worlds“die Sicht aufs Orchester versperrten, beeinträchtigte das die eingangs luzide und dann koboldhaft-humorige Wiedergabe zu keiner Zeit. Ja, wer wollte, konnte in den schon vorab baumelnden Gefäßen wie der Gießkanne gar einen subtilen Querverweis auf den unaufhörlich Wasser schleppenden Zauberbesen erkennen.