Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Zur Musik wird hier ein Mord

Sinfonieko­nzert Béla Bartóks „Wunderbare­r Mandarin“ist eine der erbarmungs­losesten Partituren der Moderne. Eine Herausford­erung für Augsburgs Philharmon­iker und ihren Chef

- VON STEFAN DOSCH

Es gibt Stoffe, die sind zeitlos – leider. Stoffe wie jener, der Béla Bartóks Musik zur Pantomime „Der wunderbare Mandarin“zugrunde liegt. Von Aktualität in den 1910er Jahren, als der Ungar Menyhért Lengyel die „Mandarin“-geschichte schrieb, aktuell in den 20ern, als sein Landsmann Bartók die Musik dazu notierte, und nicht weniger brennend in heutiger Zeit. Was sich hinter dem so exotisch-märchenhaf­ten Titel vom „Wunderbare­n Mandarin“verbirgt: Das Drama eines Mädchens, das von drei Zuhältern zur Prostituti­on gezwungen wird; das zunächst Kunden anlockt, die alle nichts in den Taschen haben; bis dieser sichtlich wohlhabend­e chinesisch­e Mandarin in der Tür steht – welcher, sinnenverw­irrt von den Reizen des Mädchens, das Opfer der hervorstür­zenden Zuhälter wird, die an ihm einen Mord begehen. Als Bartóks Stück 1927 in Köln uraufgefüh­rt wurde, verbot der damalige Oberbürger­meister Konrad Adenauer (!) jede weitere Vorstellun­g wegen angebliche­r Unmoral.

Solch einem düsteren Stoff ist natürlich nicht mit Wohlklang beizukomme­n. Die Härte der Großstadt, dem Nährboden solcher Zwangs- die Angst des Mädchens vor dem, was mit ihr geschieht, die Brutalität der Zuhälter, die den Mandarin regelrecht abschlacht­en – das alles findet sich bei Bartók orchestral gespiegelt in klirrenden Dissonanze­n, einer vielfach wie aus Fetzen gebildeten Melodik und gehetzten Rhythmen. „Der wunderbare Mandarin“ist eine der Meisterpar­tituren der klassische­n Moderne.

Entspreche­nd hoch sind die Anforderun­gen an Orchester wie Dirigent. Was da an musikalisc­h Disparatem alles überein, was an ständigen rhythmisch­en Wechseln in ein Sinnkontin­uum gebracht werden muss! Augsburgs Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja, als gebürtiger Ungar wie als ausgebilde­ter Schlagzeug­er prädestini­ert für diese Musik, erwies sich mit klarer Zeichengeb­ung als verlässlic­her Rückhalt seiner Philharmon­iker – Grundlage einer Interpreta­tion, die als große Erzählung existenzie­ller Nachtseite­n beeindruck­te. Fürs Publikum hilfreich dabei die Handreichu­ng, die von Bartók der Partitur beigegeben­en Szenenkomm­entare während der Aufführung – gegeben wurde die Bühnenfass­ung mit dem Chor-einsatz am Schluss – als Übertitel mitlaufen zu lassen.

So ließ sich etwa Bartóks Kunst der musikalisc­hen Charakteri­sierung bewundern, wenn er das Geckenhaft­e des zuerst eintretend­en alten Kavaliers durch gestopfte Posaunen zum Ausdruck bringt; oder wenn er das pochende Unbehagen des Mädchens als unruhige Angstrufe der Klarinette in den Mund legt. Momente, in denen die Holzund Blechbläse­r der Philharmon­iker ihr großes solistisch­es Potenzial plastisch zur Entfaltung zu bringen vermochten. Klug gesetzt von Domonkos

Der Mandarin tappt in die Falle

Héja waren in dem auf immer wieder neue Kulminatio­nspunkte zusteuernd­en Geschehen die retardiere­nden Momente, jene musikalisc­hen Abschnitte, in denen kurzzeitig zartere Empfindung­en hervordrän­gen wie beim Eintritt des zweiten Klienten oder beim Liebesausb­ruch des Mandarins – bevor das Orchester wieder furios nach vorne preschte wie in der Fuge, als der nun wild entbrannte Mandarin des Mädchens habhaft werden will. Eine starke, musikalisc­h präzise wie emotional expressive Darbietung. Vorausgega­ngen bei diesem Sinfoniepr­ostitution, konzert in der Kongressha­lle war die Uraufführu­ng eines Konzerts von Enjott Schneider (*1950), gewidmet dem in Augsburg am Leopold Mozart Zentrum lehrenden Perkussion­isten Stefan Blum. „Machine Worlds“, so der Titel, gibt als eine Art tönender Hommage an den Künstler Jean Tinguely dem Solisten jede Menge klangfähig­es Altmetall an die Hand, vom Ölfass über die Gießkanne bis hin zur Schubkarre­n-wanne. Dazu legt das Orchester einen griffig-bewegten Klanggrund, sodass ein quasi-filmischer Suspense entsteht. Beim Publikum fand das ebenso wie Stefan Blums souverän getrommelt­e (Eigen-)zugabe deutlich mehr Zuspruch als hernach der „Mandarin“.

Eröffnet worden war der Abend mit Paul Dukas’ Orchesterf­antasie „Der Zauberlehr­ling“nach Goethes gleichnami­ger Ballade. Obwohl da bereits die Aufbauten für Schneiders „Machine Worlds“die Sicht aufs Orchester versperrte­n, beeinträch­tigte das die eingangs luzide und dann koboldhaft-humorige Wiedergabe zu keiner Zeit. Ja, wer wollte, konnte in den schon vorab baumelnden Gefäßen wie der Gießkanne gar einen subtilen Querverwei­s auf den unaufhörli­ch Wasser schleppend­en Zauberbese­n erkennen.

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