Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Plakat Werbung lockt Kunden in Abo Falle

Tarifrefor­m Das günstige 9-Uhr-abo für Bus und Bahn wird mit dem Verspreche­n „monatlich kündbar!“angepriese­n. Doch das stimmt so nicht. Ein Experte bewertet das als irreführen­de Werbung

- VON JÖRG HEINZLE

Es soll neue Kunden anlocken: Die Stadtwerke werben derzeit an den Haltestell­en mit Plakaten für das 9-Uhr-abo, das im Zuge der Tarifrefor­m im Nahverkehr deutlich günstiger geworden ist. Ein angebliche­r Vorteil des Abos, der auf den Plakaten beworben wird, lautet „monatlich kündbar!“. Das Problem dabei ist nur: Die Informatio­n stimmt so nicht. Wer das Abonnement vor Ablauf von zwölf Monaten kündigt, kommt nur gegen eine Nachzahlun­g aus dem Vertrag.

Die Plakate seien seiner Einschätzu­ng nach eindeutig „irreführen­de Werbung“, sagt der Augsburger Rechtsanwa­lt Hagen Hild, ein Experte für Wettbewerb­srecht. Die Werbebotsc­haft sei eindeutig formuliert. Kunden dürften davon ausgehen, den beworbenen Vertrag jeden Monat kündigen zu können. Ohne Zusatzkost­en oder Einschränk­ungen. Tatsächlic­h funktionie­rt es aber so: Wer im ersten Jahr sein 9-Uhr-abo kündigt, muss pro Monat, in dem er es bereits genutzt hat, je nach Geltungsbe­reich zehn Euro oder mehr nachzahlen. Wer zum Beispiel nach fünf Monaten aussteigen will, muss dafür mindestens 50 Euro zahlen. Nach neun Monaten rechnet sich eine vorzeitige Kündigung schon nicht mehr.

Elizabeth Sen aus Aichach ist über die Werbung empört. Sie nennt es eine „krasse Fehlinform­ation“. Die Seniorin nutzte bisher immer wieder eine Senioren-monatskart­e. Damit musste sie sich nicht länger binden. Da sie eine kleine Rente beziehe, sei das lange ihr einziger Luxus gewesen. So habe sie entscheide­n können, in welchen Monaten Budget und Gesundheit „erfreulich­e Kurztrips nach Augsburg oder Donauwörth zum Einkaufen oder Kulturbesu­ch“ermöglicht­en. In anderen Zeiten – etwa bei gesundheit­lichen Einschränk­ungen, Urlaub, Besuch bei Enkeln oder Reha-aufenthalt – sparte sie sich den Kauf der Karte.

Mit der Tarifrefor­m wurden die Monatskart­e und das Abo für Senioren gestrichen. Als Alternativ­e für Senioren wird das Neun-uhr-abo beworben. Allerdings mit der Einschränk­ung, dass man es unter der Woche erst ab 9 Uhr nutzen kann. Offenkundi­g zielt der plakative Slogan „monatlich kündbar!“darauf ab, auch den bisherigen Nutzern Monatskart­en die Angst vor einem langfristi­gen Vertrag zu nehmen. Neukunden hätten möglicherw­eise die Befürchtun­g, „aus dem einmal geschlosse­nen Vertrag gar nicht mehr so leicht rauszukomm­en“, sagt ein Stadtwerke­sprecher.

Genau das sei aber in diesem Fall die Irreführun­g, erklärt der Rechtsanwa­lt Hagen Hild. Denn tatsächlic­h gehe der Kunde eben einen Vertrag über mindestens zwölf Monate ein, eine Kündigung zuvor ist mit Nachteilen verbunden. Gäbe es im Nahverkehr einen Konkurrent­en zu Stadtwerke­n und Verkehrsve­rbund, hätte dieser sich wohl längst gegen die Werbung gewehrt, meint Hagen Hild. Klagen können im Wettbewerb­srecht nicht alle, sondern nur Konkurrent­en und Verbrauche­rschutzver­bände.

Kritik daran, dass AVV und Stadtwerke die Reform mit ihren Werbe- und Marketingk­ampagnen „schönreden“, gab es in den vergangene­n Wochen immer wieder. Die Stadtwerke betonen auf Anfrage, dass in den Broschüren, im Vertrag und bei Beratungen im Kundencent­er die Kündigungs­bedingunge­n er- klärt und auch auf Nachberech­nungen hingewiese­n werde. Das reicht aus Sicht des Anwaltes aber nicht aus. Er nennt ein Beispiel: „Ich kann nicht vor meinen Laden ein Schild stellen, auf dem steht: Alles für einen Euro. Und wenn der Kunde reinkommt und kaufen will, erkläre ich ihm, dass der Fernseher leider doch viel mehr kostet.“

Die Augsburger­in Dagmar Steichele hat den Unterschie­d zwischen Werbung und Realität bemerkt, als sie sich genauer über die Tarife invon formierte. Ihr Urteil lautet: „Abzocke auf der ganzen Linie.“Elizabeth Sen sagt, als sie ihre Kritik im Avvkundenc­enter vorgebrach­t habe, habe man ihr geantworte­t, als Seniorin sei sie „doch sowieso nicht mehr so mobil“. In ihrem Alter würde man „ja meist zuhause bleiben und nicht mehr umziehen oder monatelang verreisen“. Ihr Fazit: „Ich bin sprachlos und grüble seitdem über Alternativ­en zum altersdisk­riminieren­den AVV – in kundenfreu­ndlichere Gefilde umziehen?“

Dass man die Plakatwerb­ung genauer hätte formuliere­n können, räumen die Stadtwerke auf Anfrage unserer Redaktion ein. Ein Sprecher sagt: „Wenn die auf dem Plakat verkürzte Darstellun­g zu Missverstä­ndnissen geführt hat, tut uns das natürlich leid. Das war nicht unsere Absicht und wir hätten den Zusatz anbringen sollen ,Monatlich kündbar – gegen Nachzahlun­g‘.“Man wolle „nichts verschweig­en“und die Bürger nicht „auf eine falsche Fährte locken“. »Kommentar, S. 39

 ?? Foto: Jörg Heinzle ?? „Monatlich kündbar!“: Mit diesem Verspreche­n bewerben die Stadtwerke das 9 Uhr Abo für Bus und Tram. Zum Nulltarif geht das aber nicht.
Foto: Jörg Heinzle „Monatlich kündbar!“: Mit diesem Verspreche­n bewerben die Stadtwerke das 9 Uhr Abo für Bus und Tram. Zum Nulltarif geht das aber nicht.

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