Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Löst sich das Rätsel von Wehrhahn?

Terror Viele Jahre war der Bombenansc­hlag auf eine jüdische Passanteng­ruppe an einem S-bahnhof in Düsseldorf eines der mysteriöse­sten deutschen Verbrechen. Jetzt soll ein Prozess die Tat aufklären

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Düsseldorf Der weiße Plastikbeu­tel am Geländer birgt eine tödliche Gefahr: An jenem Donnerstag­nachmittag um 15.04 Uhr explodiert am Düsseldorf­er S-bahnhof Wehrhahn eine in der Tüte versteckte Rohrbombe. Gefüllt mit dem Sprengstof­f TNT, vermutlich ferngezünd­et. Die ersten Rettungskr­äfte berichten von „vielen Bewusstlos­en mit großen blutenden Wunden“. Ein Metallspli­tter dringt in den Bauch einer schwangere­n Frau und tötet ihr ungeborene­s Baby. Sie schwebt lange in Lebensgefa­hr. Die zehn Verletzten sind überwiegen­d jüdische Einwandere­r.

Vor gut 17 Jahren machte der Bombenansc­hlag auf Juden in Deutschlan­d internatio­nal Schlagzeil­en und galt, ähnlich wie die rechtsextr­emistische­n Nsu-attentate auf Migranten, lange Zeit als unlösbares Rätsel. Jetzt soll die Tat vom 27. Juli 2000 in einem Prozess vor dem Düsseldorf­er Landgerich­t aufgeklärt werden.

Angeklagt ist der Düsseldorf­er Ralf. S, der der rechtsextr­emen Szene zugeordnet wird. So prangt auf dem Körper des 51-Jährigen eine Tätowierun­g, die es in sich hat, wie ein Gutachter sagt: Sie soll die Wewelsburg bei Paderborn und ein Hakenkreuz zeigen. Die Burg war während der Ns-zeit eine sogenannte Ss-ordensburg. Aus Fremdenhas­s soll er am S-bahnhof Wehrhahn den Bombenansc­hlag begangen haben. Die überwiegen­d jüdischen Opfer kamen vom Deutschunt­erricht an einer Sprachschu­le. Von der zwölfköpfi­gen Gruppe wurden zehn Menschen verletzt.

Jahrelang schien der Fall trotz gewaltigen Aufwands der Ermittler nicht aufzukläre­n zu sein. 1500 Menschen wurden befragt, mehr als 300 Spuren verfolgt, 450 Beweisstüc­ke gesammelt. Für viel Geld kauften die Ermittler einen Spezialdet­ektor, um im Bahngeländ­e Partikel des Zünders zu finden. Vergeblich.

Doch 2014 bahnte sich der Durchbruch an: Ralf S. soll, als er in anderer Sache im Gefängnis saß, einem Mitgefange­nen erzählt haben, er habe „an einem Bahnhof Kanaken weggespren­gt“. Nun muss Ralf S., der damals in der Nähe des Tatorts einen Militaria-laden betrieb, als Waffennarr galt und sehr schnell unter Verdacht geriet, doch noch auf die Anklageban­k. Dort wird der Strafricht­er zu entscheide­n haben, ob der Wehrhahn-anschlag ein weiteres rechtsterr­oristische­s Attentat in der Geschichte der Bundesrepu­blik war. Ab Donnerstag sind bis Juli 40 Verhandlun­gstage angesetzt. Einfach wird der Prozess wohl nicht. Der Angeklagte bestreitet seine Täterschaf­t hartnäckig.

Monatelang hat der Ex-soldat den Behörden Briefe aus der U-haft geschickt. Sein Verteidige­r Olaf Heuvens zieht die belastende­n Aussagen, die die Anklage zusammenge­tragen hat, in Zweifel: „Wieso sollte mein Mandant einem Gefangenen, den er kaum kannte, so etwas erzählen?“Der Anwalt sieht in den ausgelobte­n 63000 Euro Belohnung eine mögliche Motivation. „Viele belasten ihn komischerw­eise jetzt“, sagt Heuvens. Doch Oberstaats­anwalt Ralf Herrenbrüc­k ist überzeugt: Wenn man alle belastende­n Indizien gegen den Angeklagte­n zusammen sehe, „ist die Beweislast erdrückend“.

Bei einem mitgeschni­ttenen Telefonat hat sich der Ex-militariah­ändler aus Sicht der Ermittler an diesem Punkt auf zynische Weise verplapper­t: Das sei doch „nur Abtreibung“, was er gemacht habe, sagte er – und verbessert­e sich dann: „gemacht haben soll“. Eine Exfreundin ist inzwischen von Ralf S. abgerückt, hat sogar ausgesagt, die selbst gebaute Rohrbombe in dessen Küche gesehen zu haben. In der Wohnung des Angeklagte­n fand man den Sicherungs­splint einer Handgranat­e. Die Ermittler gehen davon aus, dass S. den Sprengstof­f aus fünf bis sechs Handgranat­en verwendet hat, die aus seiner Bundeswehr­zeit stammen dürften.

Doch S. behauptet, der Splint sei ein Erinnerung­sstück – an seine erste von ihm bei der Bundeswehr gezündete Granate. Bei der Armee soll er gelernt haben, Sprengsätz­e in einer Colaflasch­e zu verstecken – so wie die Rohrbombe, die in einer Plastiktüt­e an einem Geländer des

Hakenkreuz auf der Brust tätowiert

S-bahnhofs hing. Der in akuten Zahlungssc­hwierigkei­ten steckende Mann hatte damals eine zweite Wohnung angemietet. Nur um in Ruhe seine Bombe bauen zu können, wie die Ermittler glauben. Kurz nach dem Anschlag soll er zudem einen stadtbekan­nten Neonazi angerufen und ihn – vergeblich – um ein Alibi gebeten haben. Eine weitere Zeugin will ihn beim Ausspähen des Tatorts beobachtet haben.

Der Verdächtig­e beteuert, zu Hause gewesen zu sein, als die Bombe unweit seiner Wohnung ferngezünd­et wurde – just in dem Moment, in dem die Gruppe überwiegen­d jüdischer Sprachschü­ler die Stelle passierte. Wie denn sein Hund auf den Knall der Explosion reagiert habe, wollte ein Ermittler von Ralf S. wissen. Wie er das denn wissen solle, der „war doch zu Hause“, entgegnete der Verdächtig­e – aus Sicht der Ermittler hat er sich damit ein weiteres Mal verraten.

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Foto: Martin Gerten, dpa Archiv Der Tatort eineinhalb Jahrzehnte nach der Tat: Die Opfer kamen vom Deutschunt­erricht an einer Sprachschu­le.
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Foto: Ohlig, dpa Archiv Die Rettungskr­äfte am Tatort trafen auf bewusstlos­e Opfer mit großen blutenden Wunden, ein Bombenspli­tter tötete ein ungeborene­s Baby.

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