Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Dem Klimawande­l auf der Spur

Natur Für die einen sind sie hässliche Flecken, für die anderen untrüglich­e Zeichen für die Veränderun­gen der Natur. Welche Schlüsse Forscher aus der Existenz von Flechten ziehen

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Pentling Flechten sind so unscheinba­r, dass man sie kaum wahrnimmt. Wer aber mit Oliver Dürhammer durch seinen Wohnort Pentling in der Oberpfalz geht, entdeckt fast überall diese Pilze, die in Symbiose mit Algen leben: an Mauern, Ziegeln, gepflaster­ten Wegen oder Felsen. „Flechten sind wahre Überlebens­künstler. Sie gedeihen auch noch in den heißesten Wüstengebi­eten oder in der Kälte der Polarregio­n und auf den höchsten Bergen“, sagt Experte Dürhammer.

An dem Ort, an dem sie wachsen, haben sie sich zu 100 Prozent angepasst. Wenn sich an ihrem Umfeld aber etwas ändert, sterben sie ab. So robust sie einerseits sind, so empfindlic­h reagieren sie auf Schadstoff­e und Umweltverä­nderungen. „Auf dem Dach da drüben sieht man das sehr gut“, erklärt Dürhammer und deutet auf ein Haus. „Überall auf den Dachschind­eln sind kleine weiße Punkte. Das sind Flechten. Aber unterhalb des Schornstei­ns sind keine. Aus der Abdeckung des Schornstei­ns tritt Blei aus, was die Flechten abtötet.“Beispiele wie diese kennt er viele. „Flechten sind lebende Messgeräte und sie zeigen uns, wie sich Belastunge­n und Umweltverä­nderungen auf Organismen auswirken.“

Seit 30 Jahren beschäftig­t sich Dürhammer mit Flechten. Sein Resümee: „Wir können nicht leugnen, dass sich die Umwelt sehr verändert. Die Flechten beweisen es.“Da die in Luft und Regen enthaltene­n Nähr- und Schadstoff­e nahezu ungefilter­t von den Flechten aufgenomme­n werden, reagierten sie besonders empfindlic­h auf feinste Veränderun­gen. „Dann sterben sie ab.“Andere vermehren sich dafür unter bestimmten Bedingunge­n sehr stark: „Die Nitrophyte­n sind bei uns auf dem Vormarsch. Sie ertragen hohe Stickstoff­werte. Wo sie vorkommen, haben wir also eine zu hohe Nitratbela­stung, sei es durch die Düngung der Felder, Industriea­bgase oder Autoabgase.“

Die Liste der bedrohten Flechtenar­ten sei lang, sagt Dürhammer. Vor sechs Jahren hat er mit Kollegen die Rote Liste der Flechten herausgege­ben. „Da wird einem deutlich, wie sehr sich die Umwelt hier bei uns verändert hat.“Dürhammer geht oft raus in die Natur, im Handgepäck hat er dann immer seine kleine Ausrüstung dabei: Lupe, Hämmerchen und Meißel, ein Messer, Fotoappara­t, Block und Stift. Er sucht seltene Flechten und überprüft, ob sich an bestimmten Stellen Flechten verabschie­det haben oder neue hinzugekom­men sind. „Viele Flechten sind mit dem bloßen Auge nicht sichtbar oder haben sich gut versteckt, sodass ich Werkzeug brauche“, erklärt er.

Hauptberuf­lich unterricht­et er Gymnasiast­en in Biologie und Chemie, ehrenamtli­ch leitet er eine Internetpl­attform für die Darstellun­g der Biodiversi­tät der Moose und Flechten in Deutschlan­d und ist einer von drei Regionalst­ellenleite­rn in Bayern für Moose und Flechten. Gemeinsam mit ehrenamtli­chen

Was sind Flechten?

Flechten sind laut Naturschut­z bund Deutschlan­d „fasziniere­nde Doppelwese­n aus Algen und Pil zen“, von denen es weltweit rund 25 000 verschiede­ne Arten gibt.

Da Flechten nur sehr langsam wachsen, überleben sie in der Re gel nur dort, wo sie nicht von anderen Pflanzen überwucher­t werden.

Viele Arten wachsen daher in ex tremen Lebensräum­en wie Wüs ten, Mooren, im Hochgebirg­e oder auf blankem Fels. (AZ) Mitarbeite­rn arbeiten sie an einem Flechtenat­las Bayern, der im Internet abrufbar ist. Auch das Landesamt für Umwelt in Augsburg steht hinter dem Flechtenat­las. Die Idee, Wissen zu konservier­en, bevor es verloren geht, stamme vom bayerische­n Umweltmini­sterium. „Beim Erkennen von Flechten handelt es sich um eine Wissenscha­ft, bei der man jahrelange Erfahrung und Geländeken­ntnis braucht“, sagt eine Sprecherin des Landesamte­s. Angesichts der vielen Flechtenar­ten in Bayern kein Wunder: „Wir gehen in Bayern von 1800 Arten aus.“

Erfahrung hat Dürhammer jede Menge. Er hat nach seinem Studium über Flechten promoviert und war anschließe­nd 15 Jahre wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r und Dozent an der Universitä­t Regensburg. Auch wenn er nicht mehr an der Hochschule arbeitet, die Leidenscha­ft für Flechten ist geblieben, wie seine Privatsamm­lung von über 3000 Proben zeigt. Dürhammer ist einer der Forscher, die derzeit die Auswirkung­en des Klimawande­ls auf den Bayerische­n Wald untersuche­n. Die Auswertung der Ergebnisse laufe noch, aber auffällig sei: Die Flechtenar­ten auf morschem Holz nähmen zu, weil es wärmer werde. Auch Arten, die es bisher nur im Tiefland gegeben habe, tauchten jetzt im Hochland auf. Dürhammers Fazit: „Das sind deutliche Indikatore­n für den Klimawande­l.“

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Fotos: Armin Weigel, dpa Viele Flechten sind mit bloßem Auge gar nicht zu erkennen. Doch bei genauem Hinsehen zeigen sie den Experten wie Oliver Dürhammer, wie sich die Umwelt verändert und sich der Klimawande­l auf Organismen auswirkt.
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Oliver Dürhammers Moose und Flechten. Leidenscha­ft sind

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