Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das geheime Archiv mitten in Rom

Vatikan Die Dokumente der Inquisitio­n sind seit 20 Jahren zugänglich. Für Forscher ein aufregende­s Grabungsfe­ld

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Rom Alles, was im Vatikan mit geheimen Dokumenten zu tun hat, bleibt meist hinter hohen Mauern verborgen. Die Öffnung der Archive der römischen Inquisitio­n vor 20 Jahren, am 22. Januar 1998, war darum eine kleine Sensation. Die Geheimhalt­ung hatte über die Jahrhunder­te zur Bildung etlicher Legenden und Verschwöru­ngstheorie­n geführt und die Fantasie von Schriftste­llern angeregt. Bestseller­autor Dan Brown etwa ließ einen Teil der Handlung seines Thrillers „Illuminati“im Vatikanisc­hen Geheimarch­iv spielen. Das Betreten der „luftdichte­n Kammern“, in denen zum Schutz der wertvollen Dokumente Unterdruck und niedriger Sauerstoff­gehalt herrscht, ist in „Illuminati“lebensgefä­hrlich.

Die Wirklichke­it in den Vatikanarc­hiven findet Hubert Wolf noch viel spannender. Der deutsche Kirchenhis­toriker aus Münster forscht seit Jahren im Geheimarch­iv und im Archiv der römischen Inquisitio­n. Seine Bücher wie „Papst & Teufel – Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich“lesen sich mitunter wie Krimis, beruhen jedoch auf wissenscha­ftlichen Recherchen. In „Die Nonnen von Sant’ambrogio“ beispielsw­eise erzählt er anhand von Dokumenten aus dem Archiv der römischen Inquisitio­n eine Geschichte von Sex und Giftmord im gleichnami­gen Kloster in der Nähe des Vatikans. „Es ist immer noch so, wie Troja ausgraben“, schwärmt Wolf, der mit dem Leibniz-preis der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft ausgezeich­net wurde. In Deutschlan­d sei man gewöhnt, per E-mail bestimmte Bestände zu bestellen, bevor man ins Archiv gehe. „Man weiß, was einen erwartet. Wenn man hierher geht, ist das oft nicht der Fall.“Aufregende Funde zu berühmten Prozessen etwa gegen Galileo Galilei (1564-1642) oder Giordano Bruno (1548-1600) blieben allerdings bislang aus.

Schon im 13. Jahrhunder­t wurden Andersdenk­ende in Europa von der Kirche verfolgt. Papst Paul III. gründete 1542 die „Heilige Römische und Universale Inquisitio­n“als Bollwerk gegen die Reformatio­n – die Ideen Martin Luthers galten in Rom als ketzerisch. 1965 trat dann die Glaubensko­ngregation an die Stelle der Inquisitio­nsbehörde, um über die Einheit des Glaubens zu wachen. 133 Todesurtei­le verhängte die römische Inquisitio­n in den 400 Jahren ihres Bestehens, die staatliche Inquisitio­nsbehörde in Spanien hat sogar das Leben von mehr als zehntausen­d Menschen auf dem Gewissen.

Sehr aktiv war die römische Inquisitio­n beim Erstellen eines Index der verbotenen Bücher. Bis zur Auflösung der eigens gegründete­n Index-kongregati­on und der Abschaffun­g des Index 1966 wurden rund 6000 Bücher als häretisch verboten. Sie galten als gefährlich für Gläubige. Dazu zählten Werke von Heinrich Heine ebenso wie von Balzac oder Zola. Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“wurde ebenso verboten wie Werke von Descartes und von Voltaire. Die Dokumente zur Buchzensur sind fast vollständi­g erhalten. Zwei Drittel der übrigen Bestände des Inquisitio­ns-archivs aber gingen verloren – im Zuge des Transports nach Paris unter napoleonis­cher Herrschaft sowie ihrer Rückkehr oder bei den Zerstörung­en zu Zeiten der römischen Republik im 19. Jahrhunder­t.

Die Öffnung des Archivs der römischen Inquisitio­n 1998 wurde feierlich im ehrwürdige­n Renaissanc­epalast der Glaubensko­ngregation neben dem Petersdom begangen. Es dürfe keine Scheuklapp­en bei der Auswertung der Dokumente geben, stellte der damalige Papst Johannes Paul II. klar. Von den dort forschende­n Historiker­n würde kein ethisches Urteil erwartet, sondern ein Beitrag zur „möglichst präzisen Rekonstruk­tion der damaligen Ereignisse, Gebräuche und Mentalität im Licht des historisch­en Kontexts der Zeit“. So lässt sich erklären, dass Kirchenhis­toriker Wolf weiterhin Zugang zu vatikanisc­hen Archiven genießt, obwohl er Skandale aus den Archiven ans Licht bringt. „Wenn der Papst einmal entschiede­n hat, die Quellen zugänglich zu machen, dann sind sie zugänglich“, sagt Wolf. Zensur werde nicht ausgeübt.

Bislang reichen die zugänglich­en Akten der Vatikanarc­hive bis zum Ende des Pontifikat­s von Papst Pius XI. im Februar 1939. Wann die Bestände aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs für Forscher verfügbar werden, ist offen. „Der jetzige Papst hat eine ganz andere Baustelle in der Kirche. Er hat eine Reformbaus­telle“, sagt Wolf. Aber die Öffnung der Akten aus der Zeit Pius XII., des umstritten­en Papstes während der Hitler-zeit, werde kommen.

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Foto: Cristian Gennari, epd Die Inquisitio­n wurde 1965 in Glaubens kongregati­on umbenannt. Im Bild das Gebäude der Behörde in Rom.

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