Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der neue Held von Kitz
Ski alpin Mit Thomas Dreßen gewinnt ein deutscher Außenseiter überraschend das legendäre Hahnenkammrennen. Dass er nun heißer Kandidat auf eine Olympiamedaille ist, kann er selbst kaum glauben
Kitzbühel Ganz oben auf dem Podest im Zielraum der Streif schloss Thomas Dreßen die Augen und genoss den Moment nach seiner famosen Fahrt in die Geschichtsbücher des alpinen Skisports. „Ich habe versucht, alles aufzunehmen, damit ich mich lange daran erinnere“, sagte der Sensations-gewinner der legendären Abfahrt in Kitzbühel. Mit seinen 24 Jahren zählt der Skirennfahrer vom SC Mittenwald seit Samstag zum exklusiven Kreis derjenigen, die auf der Streif gewonnen haben – und wie Hahnenkamm-rekordsieger Didier Cuche aus der Schweiz gelang auch Dreßen in Tirol noch dazu sein erster Weltcup-sieg. Auf der schwersten Strecke der Welt.
„Es war immer von klein auf mein Traum, ins Ziel zu fahren und in Führung zu liegen hier in Kitzbühel“, sagte Dreßen. „Einfach nur geil.“Bei der Olympia-abfahrt in drei Wochen ist der jüngste deutsche Abfahrer im Weltcup-team nun viel mehr als nur ein Geheimfavorit.
„Ich sehe mich trotzdem immer noch als Außenseiter“, betonte Dreßen, für den vor dem Abflug nach Pyeongchang in Südkorea noch das Heimrennen in Garmisch-partenkirchen am kommenden Wochenende ansteht. „Ich bin noch relativ jung und habe noch nicht die Erfahrung. Bei Olympia war ich noch nie.“
Die Wucht eines Sieges bei den Hahnenkammrennen und die damit verbundene enorme Erwartungshaltung erreichten ihn aber schnell. „Wenn er hier gewinnt, dann kann man ihm alles zutrauen. Hier gewinnen nur die Superstars. Er ist jetzt schon eine Legende“, sagte der Renndirektor des Skiweltverbands, Markus Waldner in Kitzbühel. „Hier hat noch nie ein Außenseiter gewonnen.“
Als erst dritter Deutscher nach Sepp Ferstl in den Jahren 1978 und 1979 und Ludwig Leitner in der Vor-weltcup-ära 1965 gewann Dreßen die Abfahrt in Kitzbühel und bekommt nun im Sommer seine eigene Gondel bei der Hahnenkammbahn. Auf der Pressekonferenz gab es Applaus von Weltmeister Beat Feuz aus der Schweiz, der sich Dreßen um 0,20 Sekunden geschlagen geben musste und von Hannes Reichelt aus Österreich, der Dritter wurde. „Auf so einer Strecke, in dem Alter, ist schon eine Topleistung“, lobte Reichelt.
Ferstl Senior, dessen Sohn Josef am Samstag 20 wurde, war froh über den Sieg. „Gott sei Dank, dass ich jetzt mal abgelöst bin, weil das hältst auf Dauer nicht aus“, sagte er. „Aber das ist ein armer Hund jetzt, weil er alles durchmachen muss. Jetzt geht’s ja erst richtig los für den.“
Schon Minuten nach seiner Fahrt stiefelte der sympathische Bayer ungläubig und mit einem breiten Dauer-grinsen von Interview zu Interview, nahm die Glückwünsche entgegen für seinen Sieg im wichtigsten Weltcup-rennen des Jahres und schüttelte immer wieder den Kopf.
„Das ist ein denkwürdiger Tag für den deutschen Skisport.“
„Ich kann es gar nicht glauben“, meinte Dreßen völlig überwältig von dem Coup, auf den der Deutsche Skiverband 39 Jahre warten musste. Im Weltcup war es erst der siebte Dsv-abfahrtssieg bei den Herren, der erste seit Max Rauffers Erfolg in Gröden vor 13 Jahren.
Cheftrainer Mathias Berthold sagte nach dem Erfolg seines jüngsten Abfahrers auf der legendären Streif: „Das lässt sich jetzt nicht wegdiskutieren, wenn du Kitzbühel gewinnst unmittelbar vor Olympia, dass du dann einer der Gold-favoriten bist.“
Solange man mit der Rolle gut umgehe, sei das aber gar nicht schlecht. Der Österreicher hatte vor vier Jahren in Sotschi noch das Herren-team seines Heimatlandes trainiert und Matthias Mayer in Russland zu Gold in der Abfahrt und Mario Matt zu Gold im Slalom geführt. Danach kehrte er zum Deutschen Skiverband zurück und sagte gleich zu Beginn seiner Amtszeit, er wolle in Pyeongchang auch mit den jahrelang kriselnden deutschen Abfahdu rern um Medaillen mitfahren. „Es war eine Vision, wo wir einfach hinkommen wollten. Und ja, da sind wir jetzt“, sagte Berthold nach dem dritten Podestplatz im Olympiawinter.
Vor zehntausenden Zuschauern hatte sich Dreßen nach der Zieldurchfahrt feiern lassen und seine Freude wild in den blauen Tiroler Himmel gebrüllt. Die Betreuer des DSV lagen sich in dem Moment in den Armen und auch der am Kreuzband verletzte Felix Neureuther kam als Gast an der Streif aus dem Staunen kaum noch heraus. „Das ist ein denkwürdiger Tag für den deutschen Skisport“, sagte Neureuther. „Ich habe selten so eine Gänsehaut gehabt bei einem Rennen.“
Bei idealen Bedingungen war Dreßen mit Nummer 19 gestartet und hatte Feuz noch abgefangen. „Ich musste zweimal hinschauen, um das zu glauben“, sagte Dreßen. Als er am Start war, drang die Sonne erstmals so richtig durch die Wolken. „Wer weiß, vielleicht hat von oben jemand zugeschaut und die Sonne ein bisschen mehr scheinen lassen bei mir“, sagte er und spielte damit auf seinen 2005 tödlich verunglückten Vater an. „Der Dank geht nicht nur nach oben, sondern auch zu meiner Mama.“
Felix Neureuther