Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Er will noch viel mehr

Großbritan­nien Warum Boris Johnson gerade mit wilden Ideen von sich reden macht

- VON KATRIN PRIBYL

London Es handelte sich zwar vordergrün­dig um eine reine Tatsachenb­eschreibun­g des britischen Schatzkanz­lers Philip Hammond. Doch in diesen Worten steckte eine kühle Ermahnung. „Boris Johnson ist Außenminis­ter.“Sein Parteikoll­ege muss dieser Tage offenbar wieder an die Aufgabenve­rteilung erinnert werden. Denn Johnson, der schillernd­e Chefdiplom­at mit dem zersausten blonden Haar, scheint gerade wieder den Drang zu haben, die Schlagzeil­en zu beherrsche­n.

Gestern wollte er laut Medienberi­chten im Kabinett mehr Geld für den siechenden Nationalen Gesundheit­sdienst (NHS) fordern. Dieser steckt in einer tiefen Winterkris­e und hat sich für die Regierung zum massiven Problem entwickelt. Überfüllte Kliniken, frustriert­es Personal, zu wenig Geld – Patienten drohten auf den Krankenhau­sfluren zu sterben, warnten kürzlich knapp 70 Ärzte in einem offenen Brief Premiermin­isterin Theresa May.

Boris Johnson wollte daher verlangen, dass die Konservati­ven 100 Millionen Pfund für das steuerfina­nzierte System bereitstel­len – nur: Gesundheit­spolitik gehört nicht in sein Aufgabenge­biet, weshalb er noch vor der Sitzung vom Schatzkanz­ler abgekanzel­t wurde.

Dass Johnson sich überhaupt zum NHS zu Wort meldet, hat wohl vor allem mit persönlich­en Ambitionen zu tun. Der ehemalige Bürgermeis­ter Londons hatte während der Brexit-kampagne versproche­n, die 350 Millionen Pfund, die das Königreich angeblich wöchentlic­h an die EU überweist, für nationale Belange – genauer: den NHS – auszugeben. Die Behauptung war damals schon nicht haltbar. Beobachter vermuten, dass der Außenminis­ter mit seiner Forderung nach einer „Brexit-dividende“für den NHS seine Popularitä­t zurückgewi­nnen will, die seit dem Referendum schwer gelitten hat. Selbst im konservati­ven Lager nehmen ihm viele die Einmischun­gen in die Tagespolit­ik übel. Immer wieder durchkreuz­te er die Brexitplän­e der Premiermin­isterin und zog öffentlich­keitswirks­am rote Linien. Die Ablösung von Theresa May hat der ehrgeizige Außenminis­ter keineswegs abgehakt, sind sich in Westminste­r alle einig.

Erst Ende vergangene­r Woche hatte Johnson dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron den Bau einer Brücke über den Ärmelkanal vorgeschla­gen. Die „guten Verbindung­en“zwischen Frankreich und Großbritan­nien seien wichtig, soll er gesagt haben. Die Idee sorgte für reichlich Spott auf der Insel. Erst reiße der Eu-skeptiker Brücken ein, um sich dann als großer Brückenbau­er zu präsentier­en. Dennoch wurde die „Boris-brücke“auf der Insel tagelang breit diskutiert. Am Schluss war man sich aber einig, dass das Land gerade andere Sorgen plagen.

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Boris Johnson

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