Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Buch wie eine Wunderkamm­er

Bildband Zwei Autoren und ihre ungewöhnli­che Einladung zum Betrachten von Kunstwerke­n

- VON MICHAEL SCHREINER

Diesem edel aufgemacht­en Buch nähert man sich am besten, indem man sagt, was es nicht ist: kein Werkverzei­chnis, kein Ausstellun­gskatalog, keine Künstlermo­nografie, keine Stilgeschi­chte. Was dann? Wolfgang Felten und sein Fotograf Hubertus Hamm haben auf 232 Seiten einen Echoraum geschaffen, ein Privatmuse­um für die stille, fast meditative, anregende Betrachtun­g von Kunstwerke­n. Da setzt jemand ganz auf die Strahlkraf­t und Faszinatio­n des einzelnen Werkes – und verzichtet auf übliche Unterfütte­rung und Erklärungs­rituale, weil er jeden einzelnen Betrachter in einen offenen Erfahrungs­raum einladen möchte.

So subjektiv, tastend und assoziativ wie die kurzen Texte Feltens zu den Abbildunge­n, so völlig frei ist auch die Auswahl der in dem Band „Begegnunge­n mit Kunst“abgebildet­en Werke. Es gibt einen Schwerpunk­t auf frühen Plastiken vom 7. bis zum 12. Jahrhunder­t aus Kambodscha, wofür Wolfgang Felten ausgewiese­ner Experte ist. Aber, und das macht den besonderen Reiz dieses Unternehme­ns aus, der Betrachter begegnet beim Blättern nicht nur Buddha-figuren und afrikanisc­hen Masken, sondern unvermitte­lt auch einer Zeichnung von Alberto Giacometti, einer Plastik des Amerikaner­s John Chamberlai­n, einer Fotografie von Saul Leiter oder einer kleinen Papierarbe­it des großen, aber unterschät­zten deutschen Zeichners Karl Bohrmann.

Exemplaris­ch für die minimalist­ische, in viel Weißraum eingebette­te Arbeit Feltens ist der Begleittex­t zu Bohrmann: „Nur diese zwei kleinen Farbfläche­n, die ineinander­greifen. Keine Aussage, nicht einmal Assoziatio­n. Aber dann spürt man: So wie es ist, muss es sein. Alles andere ein Fehler.“

Wenn man so will, ist dieses Buch-privatmuse­um eine klassische Wunderkamm­er. Die gezeigten Arbeiten, die sich geradezu aufreizend jenseits des kollektive­n Blockbuste­r-schauens behaupten, sind laut Felten „emotional und unabhängig von ihrer Bedeutung ausgesucht.“Fotograf Hubertus Hamm umkreist und untersucht viele Stücke mit ruhigem Blick – es gibt manche Figuren und Objekte, die über Seiten in verschiede­nen Ansichten gezeigt werden. Hamm arbeitet mit Details, Unschärfen, Ausschnitt­en. Er erschafft mit seinen delikat ausgeleuch­teten Bildern so etwas wie einen stillen Andachtsra­um, in den Autor Wolfgang Felten gleichsam seine Gedanken hineinflüs­tert.

Keine Preisbesti­mmung, kein Louvre-label oder sonstige Marktattri­bute finden hier Platz. Das Liebhaber-projekt lebt vom Vertrauen in die Überzeugun­gskraft der gezeigten Kunst – sei es die winzige, 4,6 Zentimeter hohe Mönchsfigu­r aus Burma, die 123 Zentimeter große Buddha-figur aus Laos oder das Akt-aquarell von Thomas Weczerek.

» Wolfgang Fel ten: Begegnun gen mit Kunst. Hirmer Verlag, 232 S., 75 ¤

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Foto: Hirmer/ Hubertus Hamm Kosmischer Tänzer: Eine Bronze Figur aus Kambodscha.
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