Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Zweieinhalb Jahre Haft nach Messerstich
Justiz Ein junger syrischer Flüchtling wurde nun wegen einer Gewalttat am Oberhauser Bahnhof verurteilt. Er hatte einen Mann schwer verletzt. Im Gefängnis hat der 18-Jährige viel gelernt
Volker Schwarz, ein erfahrener Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe, ist nicht unbedingt dafür bekannt, Gerichten zu empfehlen, junge Straftäter schnell hinter Gittern einzusperren. Im Fall des 18-jährigen syrischen Flüchtlings, der im Juni 2017 am Oberhauser Bahnhof einem Russlanddeutschen, 33, mit einem großen Taschenmesser einen heftigen Stich in den Oberschenkel versetzte, sagt er aber: „Er ist in der Haft am besten aufgehoben.“
Schwarz sieht durchaus positive Aspekte einer weiteren Inhaftierung. Denn der junge Syrer hat seit seiner Flucht 2015 nach Deutschland ziemlich viel Mist gebaut. Und hat in der Untersuchungshaft offen- dazugelernt. Die Jugendhaftanstalt Neuburg hat ihm ein „tadelloses“Zeugnis ausgestellt. Der 18-Jährige wird noch einige Zeit an sich arbeiten können. Ein Jugendschöffengericht unter Vorsitz von Richterin Ortrun Jelinek verurteilte ihn wegen gefährlicher Körperverletzung zu zweieinhalb Jahren Haft.
Der Prozess offenbarte auch das Dilemma junger unbegleiteter Flüchtlinge aus dem syrischen Kriegsgebiet, in dem brutale Gewalt an der Tagesordnung ist. Mit 15 schlug sich der Syrer mit seinem Cousin nach Deutschland durch. Er war Analphabet, konnte weder lesen noch schreiben. Sozialpädagogen in mehreren Wohngruppen bekamen ihn nicht in den Griff, ein Erziehungsbeistand warf später auch das So landete er schließlich mit 17 – was mit Jugendlichen selten geschieht – in einer Gemeinschaftsunterkunft in der Proviantbachstraße. Alkohol und Drogen hätten seinen Tagesablauf bestimmt, fasste Volker Schwarz zusammen.
Mehrmals war der junge Mann Ziel polizeilicher Ermittlungen. Im Oktober 2015 warf er in Pfersee eine 80 Zentimeter lange Metallstange auf die Gruppe eines Kindergartens, verfehlte ein kleines Mädchen nur knapp. Ein Jahr später wurde er mit geringen Mengen Rauschgift am Königsplatz erwischt. Im Mai 2017 nahm ihm die Polizei ein Messer ab. Wenig später kaufte er sich ein neues. Mit dem er dann am 23. Juni am Oberhauser Bahnhof im Zuge einer Auseinandersetzung zustach. Inzwibar schen liegen dem Gericht noch zwei weitere Anklagen auf dem Tisch.
Seit mehr als sechs Monaten sitzt der Syrer nun im Jugendknast Neuburg-herrenwörth. Ein Führungszeugnis ist durchwegs positiv. Nach anfänglichem Weigern arbeitet der 18-Jährige problemlos, hat Schreiben und Lesen gelernt, büffelt jetzt Mathe, Geschichte, Sozial- und Erdkunde. „Tadellos“sei sein Benehmen, bilanziert die Haftanstalt. Er wolle einmal eine Ausbildung in einem Metallberuf machen, verriet er im Prozess seine Zukunftspläne.
Vergeblich hatten der Angeklagte und sein Verteidiger Klaus Rödl eine Notwehrsituation kurz vor dem Messerstich geltend gemacht, als er von vier Männern in eine Ecke der Gründanlage am Haller-platz gehandtuch. drängt worden sei. „Er befürchtete einen Angriff, wollte die Männer mit dem Messer auf Abstand halten“, plädierte der Anwalt auf Freispruch beziehungsweise auf eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung. Staatsanwältin Julia Buijze verneinte Notwehr und forderte drei Jahre Jugendhaft. Das Gericht war am Ende überzeugt, dass sich der Angeklagte in keiner Notwehrlage befunden habe, allenfalls habe es eine für ihn „bedrohliche Kulisse“gegeben. „Der einzige, der mit einer Waffe Gefahr ins Spiel gebracht hatte, war der Angeklagte“, so Richterin Jelinik. Bei dem Stich in den Oberschenkel hatte das Opfer über zwei Liter Blut verloren und Glück gehabt, nicht um sein Leben bangen zu müssen.