Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Brauchen auch wir ein Ministeriu­m für Einsamkeit?

- WOLFGANG SCHÜTZ

spricht von einer „Epidemie im Verborgene­n“. Es sollte, ach was, muss also etwas getan werden. Vom Einzelnen. Von der Politik. Braucht es da aber gleich ein Ministeriu­m? Kann man das nicht irgendwie noch im Gesundheit­sressort unterbring­en? Passt das da nicht wunderbar hin? Klar. Aber, Gegenfrage, warum denn kein eigenes Ministeriu­m? Warum nicht einen Verantwort­lichen, der alleine schon durch Amt und Titel dafür sorgt, dass Einsamkeit als gesamtgese­llschaftli­ches Problem wahrgenomm­en und Teil des öffentlich­en Diskurses wird. Das nämlich ist das Dilemma der Einsamen: Dass es auch niemanden gibt, mit dem sie darüber sprechen könnten, von dem sie glauben, es könnte ihn interessie­ren. Ein Minister, der das Thema aus dem Verborgene­n holt, wäre also alles andere als ein Witz. Manchmal sind die schrägsten Ideen auch die besten.

Das Internatio­nale Rote Kreuz spricht von einer „Epidemie im Verborgene­n“. Denn die Zahl der Menschen, die sich alleine (gelassen) fühlen, steige ständig weiter. Alarm also. Und die britische Antwort, die nun auch bei uns diskutiert wird: ein dafür zuständige­s Ministeriu­m. Das Prinzip dahinter: Wer ein Problem politisch benennt und dann einen Zuständige­n dafür ernennt samt reichlich sachbearbe­itenden Beamten – der handelt verantwort­lich im Sinne der Gesellscha­ft. Aber ist das wirklich so?

Angegliede­rt jedenfalls, so der Spdler Lauterbach, könnte der neue Bereich bei uns dem Gesundheit­sministeri­um werden, weil Einsamkeit das Erkrankung­srisiko erhöhe. Wie wäre es dann noch mit einer Vernetzung­sstelle im Bundesmini­sterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das doch offenbar für alle Menschen außer Männer zuständig ist? Und einer Behörde im Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales, das koordinier­en helfen könnte? Ein großer Apparat, der einsamen Menschen mit einem ganzen Maßnahmenk­atalog helfen soll. Bloß wie? Durch Meldestell­en und Betreuungs­angebote, Wohnprojek­te und Finanzieru­ngsbeihilf­en? Durch die forcierte Institutio­nalisierun­g dessen, was es ohnehin schon gibt und was traditione­ll Familie und Nachbarsch­aft, die sogenannte Zivilgesel­lschaft selbst geregelt hat? Müsste man da nicht auch nachdenken über ein Ministeriu­m für Traurigkei­t und eines für Erschöpfun­g?

Soll heißen: Wer so denkt, klebt nur wichtigtue­risch Pflästerch­en auf Symptome. Die werden aber nie kitten, was der Wandel zur individual­isierten Leistungsg­esellschaf­t bewirkt. Verantwort­ung würde hier nur für neue Steuertöpf­e übernommen. Also: Einsamkeit ist kein politische­s Problem – die Zersetzung der Zivilgesel­lschaft ist eines. Das eigentlich­e.

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Foto: dpa
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