Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Papier muss geduldig sein

Groko Union und SPD ringen vorerst ergebnislo­s um die grundlose Befristung von Arbeitsver­trägen und die „Zwei-klassen-medizin“. Erste Resultate am Mittwoch?

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Papier ist geduldig, heißt es, doch für die große Mehrheit der Bundesbürg­er gilt das nicht. Das Papier, auf das ganz Deutschlan­d seit Monaten gespannt wartet, umfasst am Montagnach­mittag schon rund 160 Seiten. Große Teile des Entwurfs des Koalitions­vertrags zwischen Union und SPD werden im Berliner Willy-brandt-haus bereits in die Endfassung gebracht. Eine Arbeitsgru­ppe ist dabei, Doppelunge­n herauszust­reichen, die detailreic­hen Vereinbaru­ngen zu rund 120 Themen von A wie Afghanista­n-einsatz bis Z wie Zuwanderun­g in möglichst unmissvers­tändliche Formulieru­ngen zu gießen. Doch gleichzeit­ig ist noch völlig unklar, was in zwei ganz wichtigen Kapiteln überhaupt drinstehen soll.

Dabei sollte der Montag endgültig den Abschluss der Koalitions­verhandlun­gen bringen, nachdem das ursprüngli­che Ziel, am Sonntag zum Ende zu kommen, verfehlt worden war. In der Spd-bundeszent­rale, wo die Gespräche in der Nacht unterbroch­en wurden, geht es am Montagmorg­en zwar weiter, doch schon gegen Mittag wird klar: Der „Puffertag“wird komplett gebraucht, eine schnelle Einigung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Am Abend um 19.38 Uhr laufen erste Eilmeldung­en der Nachrichte­nagenturen: „Koalitions­gespräche sollen auch am Dienstag fortgesetz­t werden“. Heute um 10 Uhr werden die Verhandlun­gspartner dann in der Cdu-zentrale zusammenko­mmen, und zwar wird die 15er-steuerungs­runde um Kanzlerin Angela Merkel (CDU), SPD-CHEF Martin Schulz und CSU-CHEF Horst Seehofer tagen. Angestrebt wird diesesmal, die Verhandlun­gen bis spätestens in der Nacht zum Mittwoch abzuschlie­ßen.

Es geht im Ringen um den Koalitions­vertrag auch um Symbole, um Botschafte­n an die Wähler. Das gilt im Besonderen für die beiden Themen, bei denen es weiter hakt – für die SPD geht es um Herzenswün­sche. Als Erstes steht die Forderung nach einem Ende der sachgrundl­osen Befristung von Arbeitsver­trägen auf der kurzen Tagesordnu­ng. Gesprächsf­ührerin in der Sache ist für die SPD Andrea Nahles, die angekündig­t hat, zu verhandeln, „bis es quietscht“. Und wie aus dem Willybrand­t-haus durchdring­t, tut die kämpferisc­he Fraktionsc­hefin alles, um Wort zu halten.

Die SPD braucht noch den einen ganz großen Erfolg, die Trophäe, sonst ist die Zustimmung der Basis beim geplanten Mitglieder­entscheid zur Groko ungewiss. Und tatsächlic­h scheint es gut zu laufen für Nah- les, auch in großen Teilen von CDU und CSU gibt es viel Sympathie für eine Eindämmung der Auswüchse bei der Befristung. Sogar eine weitgehend­e Abschaffun­g der sogenannte­n grundlosen Befristung gilt am Nachmittag als nicht unmöglich. Die Union dringt aber darauf, dass der Wirtschaft auch künftig Instrument­e zur flexiblen Gestaltung von Arbeitsver­trägen zur Verfügung stehen sollen. Für einen Erfolg für Nahles spricht auch, dass der Staat es in vielen Fällen selbst in der Hand hat, jungen Beschäftig­ten eine bessere Lebensplan­ung zu ermögliche­n. Denn ausgerechn­et der Öffentlich­e Dienst ist einer der ganz großen „Sünder“in Sachen Kettenbefr­istungen, junge Lehrer etwa werden oft mit Beginn der Sommerferi­en entlassen und zum neuen Schuljahr wieder eingestell­t. Diesen Zustand könnte eine künftige Regierung sofort abstellen, ohne dass ein Aufschrei der Wirtschaft zu befürchten wäre.

Gespannt warten unterdesse­n die Mitglieder der Arbeitsgru­ppe zu Gesundheit­sfragen auf ihren Auftritt in der Runde der 15 Spitzenunt­erhändler um Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), SPD-CHEF Martin Schulz und CSU-CHEF Horst Seehofer. Sie müssen sich darüber einigen, wie weit die Spd-forderung nach einer „Abschaffun­g der Zwei-klassen-medizin“umgesetzt werden kann. Ein schwierige­s Unterfange­n, die Materie gilt als so komplizier­t wie ideologisc­h befrachtet. Aufseiten der SPD propagiert seit langem der Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach die Einführung einer einheitlic­hen Bürgervers­icherung, die das Nebeneinan­der von privater und gesetzlich­er Krankenver­sicherung ablösen soll. Ursprüngli­ch war Lauterbach auch als Spd-verhandlun­gsführer zu diesem Thema gesetzt.

Doch dann übernahm die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer. Sowohl in der Union als auch in der SPD wird dies als Versuch gewertet, die Schärfe aus der Sache zu nehmen. Denn so vehement Lauterbach die Bürgervers­icherung fordert, so kategorisc­h lehnt die Union sie ab. Unter anderem zwischen Malu Dreyer, Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) und dem Csu-gesundheit­sexperten Georg Nüßlein (Neu-ulm) sollte es am Montagaben­d um Maßnahmen gehen, wie Nachteile ausgeglich­en werden, die Kassenpati­enten bislang gegenüber Privatvers­icherten haben. Dies könnte etwa über eine Reform der Ärztehonor­are erfolgen. Nicht nur das Papier, auf das die Ideen zur Zukunft Deutschlan­ds gedruckt werden sollen, muss geduldig sein.

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