Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Nichts geleistet, aber Millionen dafür kassiert
Prozess Hohe Haftstrafen für Mitglieder der Pflegemafia. Aber Ärzte kommen offenbar davon
Düsseldorf „Alle haben sich, so gut es ging, die Taschen vollgestopft“, sagt der Vorsitzende Richter Guido Noltze und verurteilt neun Angeklagte wegen des millionenschweren Abrechnungsbetrugs in der ambulanten Pflege zu teilweise langjährigen Strafen. Bis zu sieben Jahre Haft verhängt das Düsseldorfer Landgericht. Weil die meisten der zwischen 34 und 63 Jahre alten Angeklagten aus Russland oder der Ukraine stammen, ist das Betrugssystem als das einer „russisch-ukrainischen Pflegemafia“bekanntgeworden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Statt etwa des täglichen Wechselns von Kompressionsstrümpfen seien den „Patienten“, die mitgespielt hätten, vom Pflegegeld Fahrten zum Arzt, Putzdienste, Friseurbesuche oder Pediküre bezahlt worden. Nur ein kleiner Teil der Patienten, die mehrheitlich aus Russland, der Ukraine oder anderen Staaten der früheren Sowjetunion stammen, sei so, wie von den Ärzten verschrieben, gepflegt worden, erklärt das Gericht. Der Rest habe nur einen Bruchteil der Leistungen erhalten. Nicht erbrachte Leistungen wurden gegenüber Krankenkassen und Sozialämtern abgerechnet.
Das System sei sogar offen angepriesen worden, heißt es in der Urteilsbegründung. Das klang dann so: Die Stärke russischer Pflegedienste sei es, Leistungen durch andere Leistungen zu ersetzen. Mehrere Ärzte hätten mitgemacht und dafür Bestechungsgelder kassiert. Tatsächlich attestiert das Gericht gewerbsmäßigen, organisierten Bandenbetrug und Geldwäsche.
Acht Jahre lang habe das System funktioniert. Als ein Steuerberater sein Mandat niedergelegt habe, weil er auf Scheinrechnungen gestoßen war, hätten die Verurteilten es sogar noch geschafft, die Papiere so zu bereinigen, dass sie die fällige Betriebsprüfung des Finanzamts überstehen, ohne aufzufliegen.
Fünf der neun Angeklagten haben Geständnisse abgelegt. In zwei Fällen setzt das Gericht eine Strafe von zwei Jahren Haft zur Bewährung aus. Eine Geschäftsführerin, die als Kronzeugin zuerst ausgepackt hat, erhält zwei Jahre und elf Monate Haft. Der Schaden wird von den Ermittlern auf mindestens 8,5 Millionen Euro beziffert. Geschädigte seien über die Kommunen und Krankenkassen letztlich die Steuerund Beitragszahler in Deutschland, befindet das Gericht.
Das Gericht beziffert den Schaden nach 32 Verhandlungstagen auf mindestens 4,7 Millionen Euro. Es ordnet die Einziehung von rund 1,8 Millionen Euro an. Die Begehung der Taten sei den Angeklagten mangels ausreichender Kontrolle der Pflegeleistungen erleichtert worden.
Beim Haupttäter habe man ein Schweizer Nummernkonto und zwei Kilo Gold entdeckt. Auf die Behauptung einer Angeklagten, das Geld sei armen Verwandten in der Ukraine zugutegekommen, entgegnet der Richter: „Das war das Geld
Angeblich alles für die armen Verwandten in der Ukraine
der deutschen Steuer- und Beitragszahler. Wir sind nicht das Sozialamt der Ukraine oder der Russischen Föderation.“
Am Rande des Verfahrens muss Staatsanwältin Petra Szczeponik einräumen, dass es wohl nicht gelingen werde, den am System beteiligten Ärzten den Prozess zu machen. „Wir sind auf eine Mauer des Schweigens gestoßen.“
Bundesweit standen zuletzt 230 ambulante Pflegedienste unter Verdacht, betrügerisch abgerechnet zu haben. Nach einer älteren Schätzung des Bundeskriminalamts könnte der Schaden für die Sozialkassen bei mindestens einer Milliarde Euro pro Jahr liegen. Nrw-gesundheitsminister Karl-josef Laumann (CDU) hat die Vorgänge als „Riesensauerei“bezeichnet. Die Stiftung Patientenschutz erinnert daran, dass der aktuelle Pflege-qualitätsbericht bei fast einem Drittel der Dienste Abrechnungs-auffälligkeiten festgestellt habe. Es werde zu wenig unternommen, um Pflegebetrüger zu identifizieren und ihnen das Handwerk zu legen.