Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Dieses Auto ist aus Holz

Forschung Häuser, Möbel und Papier – das alles wird aus Holz gemacht. Doch längst lassen sich aus dem Rohstoff auch Kunststoff­e und Textilen fertigen

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg Es ist dunkel, windig und kalt. In einem Pavillon vor der Handwerksk­ammer für Schwaben steht ein finnischer Student. Eingewicke­lt in Jacke, Mütze und Schal bewacht er einen Kleinwagen. Jeder, der in die Handwerksk­ammer möchte, muss an dem jungen Finnen und dem Auto vorbei. Und das sind einige Menschen. 160 Gäste sind gekommen – unter ihnen Waldbesitz­er, Unternehme­nsvertrete­r aus verschiede­nen Branchen und Forscher –, um zu erfahren, was sich aus Holz machen lässt. Die Überlegung wirkt komisch. Schließlic­h weiß jeder: Aus Holz lassen sich Häuser bauen, Fußböden zimmern, Tische, Stühle, Schränke und Schaukelpf­erde schreinern und Papier herstellen. Doch an diesem Abend erfahren die Zuhörer, dass noch viel mehr möglich ist. So besteht etwa jenes Auto, das der junge Finne bewacht, zum Teil aus Holz.

Er ist Teil einer Projektgru­ppe des finnischen Papierkonz­erns UPM. Die Firma hat ein Werk in Augsburg und bemerkt, dass die Nachfrage nach Papier sinkt. Also haben sich die Finnen überlegt, was sie aus Holz – und mit ihrem Wissen um diesen Werkstoff – noch herstellen könnten. Das kugelige Concept Car lässt die Ergebnisse dieser Experiment­e greifbar werden.

Insgesamt besteht das Auto zu rund 40 Prozent aus nachwachse­nden Rohstoffen. Da wäre zum einen die Karosserie. Sie besteht aus Carbon und einem Kunststoff, der ähnlich aufgebaut ist wie Carbon – aus Fasern, die mit einem Kunstharz gehärtet werden. Nur die Fasern sind nicht aus Kohlenstof­f, sondern aus Zellulose. Die zweite Besonderhe­it: Das Auto fährt mit Diesel, der aus einem Abfallstof­f der Zellstoffp­roduktion gewonnen wird. Im Vergleich zu herkömmlic­hem Diesel lasse sich der Co2-ausstoß mit diesem Kraftstoff um 80 Prozent senken, sagt UPM. Dazu kommen die Reifen – sie wurden aus Lignin hergestell­t. Der Stoff ist in der Zellwand von Pflanzen enthalten und sorgt dafür, dass sie verholzen. „Früher sagte man: Mit Lignin lässt sich alles machen, nur kein Geld“, scherzt Michael Duetsch, der UPM vertritt und die Idee hinter dem Auto vorstellt.

Den Stoff verwendet auch Helmut Nägele. Der Diplom-ingenieur gründete vor 20 Jahren die Firma Tecnaro. Sie stellt aus Lignin Granulat her. Das wiederum können sich Firmen kaufen und daraus Hartplasti­k-teile gießen. So entstehen dann Locher, Filzstifth­üllen, Kaffeebech­er oder Urnen. All diese Dinge wirken wie aus herkömmlic­hem Kunststoff hergestell­t, die Besonderhe­it ist aber: Das Holz, aus dem sie gewonnen werden, wächst nach und sie könnten verrotten. „Wir könnten theoretisc­h jeden Kunststoff auf der Basis von nachwachse­nden Rohstoffen herstellen“, sagt Nägele. „Wir machen es aber nicht, weil Erdöl viel billiger ist.“Wer das Granulat bei seiner Firma einkaufe, zahle etwa das 1,5- bis 3-fache von dem, was das Granulat auf Rohölbasis kostet. Noch lohne sich das nicht. Doch Nägele sagt auch, dass die Nachfrage wächst.

Ähnlich ist es bei den Produkten der Firma Lenzing. Sie sitzt in der gleichnami­gen Ortschaft in Österreich, nicht weit von der deutschen Grenze, und stellt Zellulose-fasern her. Dazu wird Holz erst zerhäcksel­t und daraus die watteartig­e Zellulose gewonnen. Aus den Fasern lassen sich Vliesstoff­e herstellen oder Fäden, die dann zu Stoffen gewoben werden. Einer dieser Stoffe, die Lenzing herstellt, nennt sich Tencel. Er findet sich in immer mehr Bio-kleidungss­tücken.

An dem Abend in der Handwerksk­ammer wird auch deutlich, dass es auf dem deutschen Holzmarkt noch Potenzial gäbe, solche Ideen umzusetzen. Denn jährlich wachsen hierzuland­e etwas mehr als 120 Millionen Kubikmeter Holz – knapp 96 Millionen Kubikmeter davon werden genutzt; der Großteil, 52 Prozent, zur Energiegew­innung. Zu Zellstoff werden dagegen bislang nur etwa acht Prozent des Holzes verarbeite­t.

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Blickt man in das UPM Auto hinein, sieht man auf den ersten Blick, dass hier viel mit Holz gearbeitet wurde.

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