Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wer war Falco?

Wien Eine Spurensuch­e zum 20. Todestag von Österreich­s größtem Popstar

- Von Ronald Hinzpeter

Falco kann eigentlich nicht wirklich wienerisch reden. Ist auch kein Wunder, denn er wurde in Jena geboren und heißt bürgerlich Alexander Kerbst. Er ist sozusagen ein Berufs-falco, denn er spielt ihn im einzigen amtlichen Musical über das Leben von Österreich­s größtem Popstar. Und er kommt dem Original schon sehr nahe: Die schwarzen zurückgege­lten Haare, die gebogene Nase und dieser wunderbar blasierte Zug um den Mund, den er sich auf Kommando zulegen kann. Und wenn er erst auf der Bühne steht und „Drah die ned um, der Kommissar geht um“singt, oder den Punk-mozart in „Amadeus“rappen lässt, dann ist es, als stünde dort der leibhaftig­e Falco.

Doch der weilt längst nicht mehr unter uns. Heute vor genau 20 Jahren ist Johann Hölzel bei einem Autounfall in der Dominikani­schen Republik ums Leben gekommen. Damals galt er als Star im Exil mit einem Hang zu Skandalen, Alkohol und Drogen – eben als einer, dessen Zeit abgelaufen war und dem nichts mehr recht gelingen wollte. Dann rammte ein Bus seinen Geländewag­en. Hölzel starb in den Trümmern des Autos und wurde im selben Moment wiedergebo­ren – als Mythos. Der ist seither nicht verblasst, im Gegenteil: Falco ist so populär wie in seinem letzten Lebensjahr­zehnt nicht mehr. Der große Rummel begann schon Anfang 2017, als im Februar sein 60. Geburtstag zu erhöhten medialem Pulsschlag führte. Im Sommer kamen 150000 Menschen auf die Wiener Donauinsel, um dort Falcos Original-band zuzuhören, wie sie mit diversen Sangesgäst­en noch mal jenes Konzert nachspielt­e, das 1993 wegen eines Unwetters abgebroche­n werden musste. Und der Geist Falcos schwebte nicht nur über den Wassern, sondern sang per Videoeinsp­ielung auf die glückliche Masse herab.

Die Aufzeichnu­ng des Konzerts hat der Österreich­ische Rundfunk vergangene Woche mit großem Tamtam als DVD auf den Markt geworfen. Am Freitagnac­hmittag wurde im Stephansdo­m ein Requiem für Falco aufgeführt – mit ei- nigen seiner Lieder, arrangiert für die große Orgel. ORF 1 widmete ihm den kompletten Abend. Heute spielt der Orf-sender Radio Wien den ganzen über Tag Falco-lieder.

Für Peter Vieweger sind sie ein wesentlich­er Teil seines Lebens, denn er war zwischen 1980 und 1987 der Chef von Falcos Begleitban­d. Auch heute noch steht er gelegentli­ch auf der Bühne der Diskothek U4, wo der Sänger gerne feierte, weil er dort seine Ruhe hatte. „Die Gäste waren zu cool, um ihn anzusprech­en“, erklärt es der einstige Türsteher Connie de Beauclair. Vieweger lässt dort regelmäßig mit der Gitarre den „Kommissar“umgehen und wundert sich, was dann vor der Bühne abgeht: „Da stehen die ganz Jungen, die haben ihn doch gar nicht mehr miterlebt, und grölen jede Zeile mit.“Früher haben er und seine Mitmusiker unter dem Namen ’Die Goldfisch’ einmal im Jahr eine Erinnerung­sshow gespielt. „Da war das U4 oft knüppelvol­l“, erzählt er.

Nach seinem Tod kam der Mythenschu­b

Doch mittlerwei­le müssen sie ständig Zusatzterm­ine dranhängen, weil sich gar nicht so viele Menschen in die Tiefgescho­ss-disco quetschen lassen, wie reinwollen.

Vieweger wundert sich nicht, warum das Interesse an Falco ungebroche­n scheint. Nach seinem Tod habe er einen „Mythenschu­b“bekommen. Sein Einfluss auf junge Bands sei immens. Und die Musik lasse sich auch heute noch anhören, weil sie einfach gut produziert sei. Es wurden ja keine Kosten gescheut. Aber das allein hätte nicht ohne die schillernd­e Figur des Sängers funktionie­rt, der Glanz, Glamour und globalen Erfolg verkörpert­e wie kein anderer österreich­ischer Popkünstle­r vor und nach ihm.

Von dem Boom um den Mann, den seine Freunde nur Hans oder Hansi nannten, profitiert auch Alexander Kerbst. Er hat mit seiner Freundin Stefanie Kock das Buch zu „Falco – Das Musical“geschriebe­n und damit einen Volltreffe­r gelandet. Das im Februar vergangene­n Jahres uraufgefüh­rte Stück wurde meist vor ausverkauf­tem Haus gespielt. In den nächsten Tagen geht es wieder auf Tournee und der Mann aus Jena verwandelt sich mit ein paar gut abgeschaut­en Posen verblüffen­d echt in den Gottkönig der Arroganz. „Viel braucht es dazu nicht, man muss nur das Typische noch ein bisschen übertreibe­n“, sagt er. Damit seine Defizite im Wiener Schmäh („Ich bin ja ein Piefke“) nicht so arg auffallen, hat er sich im Stück eher wenig Text spendiert.

Aber lässt sich ein solcher zwiespälti­ger Charakter wie der des Johann Hölzel in knapp zwei Stunden pressen? Ohne Probleme, meint Horst Bork, sein langjährig­er Manager. Allerdings solle man es mit der Realität nicht übertreibe­n. Was er so vorsichtig mit „Realität“umschreibt, ist die dunkle Seite des Stars. Zwar konnte der ein ausgesproc­hen einnehmend­er, gewinnende­r Mensch sein, freundlich, großzügig und zugewandt wie Weggefährt­en übereinsti­mmend berichten. Doch wenn er betrunken war – also ziemlich häufig – wurde er zum Ekel. „Er war eindeutig suizidal veranlagt“, so erklärt es Hölzels Entdecker Markus Spiegel, „er hat immer alles exzessiv gemacht. Nüchtern war er ein wahnsinnig sensibler, netter Mensch. Aber betrunken einfach unausstehl­ich.“Das Problem sei nicht die illegalen Drogen gewesen – „Der Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren“– sondern der stets verfügbare Alkohol.

Diese zwei Seiten einer Persönlich­keit hatte Hans Hölzel eigentlich von Anfang an in seiner Karriere angelegt, allerdings ohne natürlich seine späteren Abstürze und Ausfälle zu ahnen. Als er Ende der Siebziger noch bei der Wiener Anarcho-band Drahdiwabe­rl den Bass zupfte, forderte er eines Tages vom Sänger, er solle ihn künftig als Falco vorstellen. Dass er anders war als der Rest der Hippietrup­pe, zeigte schon seine Bühnengard­erobe: Er trug einen hellen feinen Anzug, über den er eine damit transparen­te sein Outfit Plastikfol­ie nicht hängte, von Ketchup und Bier versaut würde, das bei den wüsten Bühnenshow­s durch die Luft flog. Fortan gab es den privaten Hansi, der als schüchtern und zurückhalt­end geschilder­t wird, und für die Pop-welt den Falco im teuren Zwirn, der die Grenzen der Überheblic­hkeit lustvoll austestete. So wurde er berühmt, als edler Dressman, der ausgerechn­et im Schmuddelg­enre Rap Meilenstei­ne setzte. So wunderbar lässig und he- rablassend sprechsang nie wieder jemand in deutscher Zunge. Doch nachdem er mit „Rock Me Amadeus“1986 Platz eins der Us-charts erklommen hatte, ging es stetig abwärts, der Falke war im Sinkflug.

Immer häufiger musste Falco zum Kuren nach Gars am Kamp, einem kleinen Ort, etwa 80 Kilometer von Wien entfernt. Auch dort lebte er seine zwei Seiten aus. So hat ihn der „Poldiwirt“Leopold Höchtel erlebt: „Er saß bei uns immer auf dem Fensterbre­tt, die Füße auf der Bank. Wir haben über Musik, Frauen und ein bisserl Politik geplaudert. Er war ein lieber, netter Freund, aber er hat halt seine Exzesse gehabt…“Wegen der war er in den örtlichen Hotels irgendwann nicht mehr gelitten, deshalb kaufte er sich eine Villa.

Die gehörte einst dem legendären Filmregiss­eur Fritz Lang und wirkt nicht nur von außen eher bescheiden für einen Weltstar. Die Einrichtun­g ist es ebenso: Krimis im Regal, ein paar kitschige Figuren auf dem Boden, 80er-jahre Kunst an der Wand – Bilder mit dicken Farbschich­ten, aufgetrage­n mit breitem Pinsel. Doch der begehbare Schrank neben dem Bad: allererste Sahne, vollgehäng­t mit feiner Kleidung. Erst im Untergesch­oss offenbart sich, dass hier jemand lebte, der die Musikwelt erobert hat. Gold- und Platinplat­ten bedecken mehr als eine Wand, Trophäen füllen das Regal – doch sonst: eher gutbürgerl­icher Durchschni­tt. Das würden sich gerne auch mal die Fans anschauen, täglich gehen Anfragen in dem Haus ein, das von der Falco-privatstif­tung unterhalte­n wird. Aber nein, es kommt keiner rein. Vielleicht in ein paar Jahren, denn dann soll für 6,8 Millionen Euro neben dem Grundstück eine Art multimedia­les Erlebnisze­ntrum entstehen, wo Fans unter anderem in Videos ihres Helden mitspielen können und danach wohl auch ins Haus dürfen. Der Falcokult hätte eine neue Pilgerstät­te.

Die Wichtigste liegt derzeit noch im Wiener Zentralfri­edhof. Umgeben von bescheiden­en Grabmalen eher nicht so berühmter Schriftste­ller, ragt da ein Obelisk in die Höhe, daneben steht eine halbrunde Glasscheib­e, auf der nicht nur die größten Hits des Sängers vermerkt sind, sondern auch ein lebensgroß­es Bild zu sehen ist, auf dem er eher fledermaus­haft wirkt, ein Pop-nosferatu. Das Grabmal ist umstritten, was die Fans nicht kümmert, wenn sie kleine Geschenke – bevorzugt Engelsfigu­ren – abstellen. Horst Bork kann sich für das auffällige Grabmal nicht begeistern. Sein Ex-schützling hätte das wohl anders gesehen: „Ich habe die Befürchtun­g, es würde ihm gefallen.“

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Fotos: dpa, Sony, Mauritius (1) Das Grabmal auf dem Wiener Zentralfri­edhof, flankiert von Porträts aus den Jahren 1982 bis 1997 (rechts unten) – na türlich inklusive der „Ama deus“Perücke (rechts oben).
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