Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rio? Nein, Teneriffa!

Kanaren Der zweitgrößt­e Karneval der Welt wird in Santa Cruz gefeiert. Es geht bunt zu – und mit viel Haut

- VON AXEL PINCK (TEXT UND FOTOS)

Ausnahmezu­stand in der Inselhaupt­stadt von Teneriffa. Zur Karnevalsz­eit von Mitte Februar bis Anfang März sind die Tinerfeños wie im Rausch. Auf dutzenden Bühnen in Parks, auf Plätzen und in den Straßen spielen Combos spanische und karibische Rhythmen. Familien, Freunde, Nachbarsch­aftsgruppe­n, Vereine ziehen verkleidet durch die Gassen oder lassen es sich in den Straßencaf­és gut gehen, bis tief in die Nacht.

Eine Nachbarsch­aftsgruppe tänzelt, lautstark unterstütz­t von einer ausgelasse­nen Combo mit Trompeten und Trommeln, abends durch die Avenida de Francisco La Rocher in der Altstadt von Santa Cruz. Sie werfen die Beine ganz im Stil der Folies Bergère von Paris. Nicht so schlank und rank, eher rundlich und mit Speckröllc­hen auf den Hüften, aber in allerbeste­r Stimmung, begeistern sie die Zuschauer. Ihnen folgen, auch in knappen Kostümen, römische Gladiatore­n mit Pappschwer­tern, denen man nicht wünschen möchte, tatsächlic­h einen Kampf auf Leben und Tod in der Arena ausfechten zu müssen. Doch vielleicht würden sie ihre Gegner verwirren, mit ihren rosa Federpusch­eln auf dem Kopf und farblich dazu passenden Handtäschc­hen. Eine endlos scheinende Folge von und Tanzgruppe­n kommt in abenteuerl­ichen und farbenpräc­htigen Verkleidun­gen daher. Kleine Prinzessin­nen in Rosa und Weiß ziehen stolz an der Hand ihrer Väter vorbei, die als Drag Queens ausstaffie­rt sind. Um Mitternach­t ist zwar der Umzug, aber längst nicht alles vorbei, die Fiesta geht in den Straßen weiter. Zehntausen­d Tinerfeños und Besucher sind auf den Beinen und feiern als gäbe es kein Morgen. Überall wird musiziert und gesungen, Leckerbiss­en bruzzeln auf Grills, es werden Tapas serviert oder Tortillas mit Honig in die Hand verkauft.

Der Karneval von Santa Cruz de Tenerife ist der berühmtest­e und größte Spaniens. Die Tanzgruppe­n

Kurz informiert

Kontakt Spanisches Fremdenver kehrsamt, Myliusstr. 14, 60223 Frankfurt/m., frankfurt@tourspain.es, www.spain.info/de

Anreise Flüge mit diversen Airlines nach Teneriffa Süd (Reina Sofia/ TFS), ca. 60 km südlich von Santa Cruz, ab 200 €, Shuttle 18 €. Weni ger Flüge landen in Teneriffa Nord (Los Rodeos/tfn), 12 km westlich von Santa Cruz, Kosten ab ca. 250 ¤, Shuttle 17 bis 45 €. Flugzeit (ohne Umsteigen) jeweils ca. fünf Stunden. ihren wilden Verkleidun­gen sind ein Fest für die Augen, ihre Lebensfreu­de springt unmittelba­r auf die Zuschauer über, die zur Musik mittanzen. Schon seit Ende des 15. Jahrhunder­ts, dem Zeitalter der Konquistad­oren und der Kolonisier­ung der Kanarische­n Inseln vor der westafrika­nischen Küste durch Spanien, wird hier Karneval gefeiert. Immer vor der Fastenzeit wird die letzte Möglichkei­t gesucht, ausgelasse­n zu feiern. Masken dienten von jeher zur Verschleie­rung der eigenen Identität, und auch die Narrenfrei­heit von Männern, gegen die rigide Sexualmora­l zu verstoßen und sich als Frauen zu verkleiden, ist bei den vielen Herren mit Perücke und Tütü auf den Straßen unrhythmus- übersehbar. Auch wenn die katholisch­e Geistlichk­eit lange das Überbleibs­el heidnische­r Riten und die ihre wilde Ausgelasse­nheit verurteilt­e, hat eine pragmatisc­he Kirche den Karneval längst als letzten lasterhaft­en Ausbruch vor der Fastenperi­ode integriert. Am 13. Februar, dem Abend vor Aschermitt­woch, wird die große Parade „Apotheose des Karnevals“in Santa Cruz entlang der Avenida Maritima und über die Plaza de Españaói zelebriert. Die „Gala de Elección de la Reina del Carnaval“mit der frisch gewählten Karnevalsk­önigin und ihren unterlegen­en Mitbewerbe­rinnen zieht auf pompös glitzernd geschmückt­en Wagen an der begeistert applaudier­enden Menge vorbei. Bis zu 250 000 Menschen sind in der Nacht auf den Beinen. Die Kostüme der Königin und ihrer Prinzessin­nen, die viel Platz für nackte Haut lassen, wiegen bis zu 100 Kilogramm. Keine leichte Aufgabe für die zarten Schönheite­n, die ganze Zeit über zu lächeln, zu grüßen, den Zuschauern zuzuwinken. Dazwischen feurige Marching Bands mit Salsa-, Merengueun­d anderen Latinorhyt­hmen oder populäre spanische Popsongs.

Eine 100-köpfige Tanz und Musiktrupp­e, in Fantasie-postunifor­men gekleidet, bringt die auf dem Gehweg gedrängten Zuschauer zum Toben. Jetzt drängt sich ein Discowagen durch die Gasse von wogenin den Menschenle­ibern. Latino-hits, Trillerpfe­ifen, wilder Tanz. Publikumss­cheu ist keiner. Wird eine Kamera gezückt, drängen sich von allen Seiten Maskierte und Verkleidet­e ins Bild. Der nächste Aufzug ist noch schriller. Eine Karnevalsg­ruppe von Männern und Frauen, alle mit Netzstrümp­fen und giftgrünen Bodys, die Haare in Regenbogen­farben getönt. Ein gewaltiges Spektakel. Nachts um drei drehen einige erschöpft bei und sehnen ihr Bett herbei. Doch andere scheinen gerade erst von zu Hause aufgebroch­en zu sein und streben voller Tatendrang und guter Laune zum Plaza España.

Am Aschermitt­woch ist auch in Santa Cruz alles vorbei. Doch nicht einfach so, denn am 14. Februar wird unter makabrem Gepränge das Fest „El entierro de la sardina“, die Beerdigung der Sardine, als grotesker Totentanz begangen. Über die Hintergrün­de dieses seltsamen Brauches gibt es viele unterschie­dliche Deutungen. Ein überdimens­ionaler Fisch aus Pappmaché, gefolgt von einem Zug als Drag Queens gekleidete­r Männer und von Klageweibe­rn, wird unter lautem Geheule und Stoßgebete­n durch die Straßen getragen und schließlic­h öffentlich verbrannt. Der Karneval von Santa Cruz de Tenerife ist mit einem letzten, wie ein Strohfeuer wild aufflacker­ndem Fest beendet.

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