Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So aktuell wie die Nachrichte­n

Interview Kabarettis­t Urban Priol aktualisie­rt sein Programm für jeden Auftritt – täglich. Außerdem verrät er, wieso Helmut Kohl immer noch auf der Bühne funktionie­rt

- Foto: Michael Palm

Herr Priol, Sie sind bekannt für Ihre Jahresrück­blicke im Fernsehen. In Ihrem neuen Programm „gesternheu­temorgen“halten Sie Rückblick auf die 35 Jahre, die Sie als Kabarettis­t unterwegs sind. Wie kam es dazu? Urban Priol: Ich habe mir gedacht, zu meinem 35-jährigen Bühnenjubi­läum gönne ich mir mal etwas. Es gibt vier, fünf Klassiker, die ich wahnsinnig gerne spiele, und die habe ich eingebunde­n ins neue Programm. Und so verbinde ich den Beginn meiner satirische­n Laufbahn mit ganz aktuellen Ereignisse­n.

Ist doch erstaunlic­h, dass man alte Texte immer noch bringen kann. Was sind denn das für Nummern? Damals war ja z. B. Helmut Kohl Kanzler. Priol: Helmut Kohl war sehr prägend für eine ganze Generation, deswegen kann man das immer noch hören. Aber es war ebenso interessan­t zu sehen, dass manches wirklich gleich bleibt. Etwa die Debatte um Geflüchtet­e – das hatten wir in den 90ern genauso, eins zu eins. Das haben aber viele verdrängt.

Wenn einiges gleich geblieben ist – was hat sich denn verändert seit dieser Zeit? Priol: Früher waren wirtschaft­liche Zusammenhä­nge kein großes Thema. Da die Menschen aber merken, wie sehr die Wirtschaft Einfluss auf ihr tägliches Leben hat und die Politik fast ins zweite Glied zurückgetr­eten ist, ist ein größeres Interesse dafür festzustel­len. Und im Zuge der Globalisie­rung kann man natürlich auch nicht mehr nur deutsch denken, sondern muss Europa mehr im Blick haben.

Warum glauben Sie, ist die Begeisteru­ng für politische­s Kabarett so ungebroche­n, wo doch die Politikver­drossenhei­t immer mehr zugenommen hat? Priol: Es hat zugenommen, dass Politiker sehr wachsweich formuliere­n. Das aufzuspieß­en und zu verdeutlic­hen, liegt vielen Leuten am Herzen.

Kann man sich als Kabarettis­t mehr erlauben als früher? Früher wurde schon mal eine „Scheibenwi­scher“sendung verboten, das passiert heute nicht mehr. Priol: Ich hatte nie eine Schere im Kopf. Ich habe eine Zeit lang in England die Schule besucht und dort studiert, und habe immer versucht, das Freche des englischen Humors in meine Programme einfließen zu lassen. Man darf alles sagen, ist mei- ne Erfahrung. Es sollte nicht unter der Gürtellini­e sein und auch nicht persönlich verletzend, das geziemt sich nicht für Satire. Aber ansonsten gilt: einfach drauf.

Worüber mussten Sie sich am meisten aufregen in den vergangene­n 35 Jahren? Priol: Im Prinzip ist es wie ein roter Faden, dass wir seit 35 Jahren erpressbar sind mit dem Argument „Das gefährdet Arbeitsplä­tze“. Unter diesem Deckmantel lassen sich Regierunge­n erpressen. Jüngstes Beispiel ist Herr Kaeser von Siemens, der einfach ein Werk dichtmacht und woanders produziere­n lässt. Unglaublic­h, zu sagen, wir haben eine Absatzschw­äche bei Gasturbine­n, dann bauen wir sie halt in Amerika, wo zufällig gerade die Unternehme­nsteuer gesenkt wurde. Worüber ich mich auch immer aufregen muss, ist die ungleiche Verteilung. Dass das, was das Grundgeset­z vorgibt, nämlich dass Eigentum verpflicht­et, völlig vergessen wird.

Sie gelten als einer der aktuellste­n Kabarettis­ten. Wie informiere­n Sie sich? Priol: Das beginnt bei mir morgens mit zwei Stunden „Morgenmaga­zin“. Dann gehe ich zu meinem Kiosk und hole mir mehrere Tageszeitu­ngen – ausdrückli­ch Print, weil ich gerne Papier zwischen den Fingern habe. Und dann schaue ich noch, was im Netz los ist. Zwei Stunden bin ich dann mindestens damit beschäftig­t, nachzuprüf­en, ob das auch wirklich alles stimmt oder ob wieder jemand alternativ­e Fakten eingestell­t hat, was früher nur am 1. April geschah.

Wie häufig aktualisie­ren Sie Ihr Programm dann? Priol: Täglich. Wenn ich einen Auftritt am Abend habe, gucke ich am Tag noch, was ich mit hineinnehm­en kann. Das hält auch für mich die Spannung, dadurch komme ich nicht in diese Routine, das Programm einfach Abend für Abend abzuspulen. Das konnte ich noch nie. Dafür bin ich viel zu quirlig.

Genau, kommen wir mal auf das Quirlige, das ist sozusagen Ihr Markenzeic­hen. Wie viel vom privaten Urban Priol steckt in der Figur, die auf der Bühne herumhampe­lt, quietschbu­nte Hemden und Starkstrom­frisur trägt. Priol: Das bin ich.

Wir führen das Gespräch ja am Telefon. Sehen Sie jetzt auch so aus wie abends bei Auftritten? Priol: Heute bin ich relativ gedeckt, aber die Haare sind ein bisschen wirr, weil die nie so wollen wie ich. Ich lasse ihnen dann freien Lauf. Termin Auftritt am 8. Februar um 20 Uhr im Kongress am Park

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Quietschbu­nte Hemden, Starkstrom­frisur und immer in Bewegung: Urban Priol liebt es quirlig.

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