Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mitleid mit Schulz?

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Geteiltes Leid ist halbes Leid. So ungefähr lässt sich die Bedeutung von Mitleid für unser Zusammenle­ben erklären. Ein Mensch, der schicksalh­aft in eine Notsituati­on gerät, kann darauf hoffen, dass andere ihm zumindest wohlwollen­d begegnen oder ihm zur Seite stehen. Schließlic­h könnte es jedem von uns schon am nächsten Tag genauso ergehen. Damit ist die Frage, ob man mit Martin Schulz Mitleid haben sollte, ziemlich klar beantworte­t.

Der gescheiter­te Spd-kanzlerkan­didat und -Parteichef wollte auch einmal am eigenen Leib den Hauch der Geschichte spüren. Dass er sich dafür ein viel zu luftiges Mäntelchen umgehangen hat, ist keine schicksalh­afte Begebenhei­t. Der Aufstieg und Fall des Martin Schulz taugt aber als Untersuchu­ngsobjekt für Psychologe­n und Sozialwiss­enschaftle­r: zu seinem Beginn als Beispiel einer kollektive­n Selbstüber­schätzungs­spirale; zu seinem Ende als besonders krasses Beispiel für das Auseinande­rklaffen von Eigen- und Fremdwahrn­ehmung.

Wenn man überhaupt jemals mit dem Politiker Martin Schulz Mitleid haben konnte, dann zu dem Zeitpunkt, als er die Spitzenkan­didatur übernommen hatte, und ihm irgendwann klar geworden war, auf was für einem Himmelfahr­tskommando er da war. Die sogenannte­n Parteifreu­nde warfen ihm einen Stein nach dem anderen in den Weg. Und er saß auf dem immer schneller fahrenden Zug, sah die große Mauer, an der alles zerschelle­n würde, aber konnte nicht mehr abspringen. Das war eine wirkliche Drama-konstellat­ion. Eine schicksalh­afte Verwicklun­g, die der Held nicht unbeschade­t überstehen konnte. Nach allem, was seit dem Wahltag passiert ist, kann man höchstens noch Mitleid haben mit den Wählern.

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