Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was der Mensch vergisst

Erfolgsstü­ck Jan Knopf schaut auf die Brisanz des „Dreigrosch­en“-komplexes. Nach der Oper gab es eine Verfilmung, gegen die Bertolt Brecht erfolglos prozessier­te

- VON GÜNTER OTT

Muss man über Brechts „Dreigrosch­enoper“noch reden? Über jenen monatelang vor ausverkauf­tem Haus laufenden Bombenerfo­lg am Berliner Schiffbaue­rdamm-theater (1928), an den sich bis 1930 über 120 Häuser mit mehr als 4000 Vorstellun­gen anhängten? Nicht eingerechn­et die massenhaft vertrieben­en Schallplat­ten-aufnahmen der Songs, die dem Duo Brecht/weill das Popularitä­tssiegel verliehen.

Prof. Jan Knopf (Karlsruhe), einer der renommiert­esten Brechtfors­cher, hat sich „Brechts Erfolgsmar­ke“, so der Titel seiner neuen Publikatio­n, noch einmal gründlich vorgenomme­n. Er zeichnet den Weg des Augsburger­s auf den Erfolgsgip­fel nach, greift auf weniger bekannte, teils neue Details und Dokumente zurück. Die Abhandlung (mit 16 Abbildunge­n) begibt sich mitten hinein in, das von Urheberrec­htsund Vermarktun­gsfragen gleichsam zugestellt­e, „Dreigrosch­en“-dickicht. Das macht die Lektüre nicht immer einfach, zumal hier vier Brecht-bausteine ineinander­spielen: 1. „Die Dreigrosch­enoper“(1928), Szenenentw­ürfe und Varianten 2. „Die Beule“(1930), Treatment für einen Dreigrosch­enfilm 3. „Der Dreigrosch­enprozess. Ein soziologis­ches Experiment“(1931) 4. „Dreigrosch­enroman“(1934)

Brecht war über seinen internatio­nalen Hit nicht nur glücklich. Er ahnte, dass der Publikumsj­ubel an die Songs und verruchten Typen, die ätzende Gesellscha­ftskritik unter sich begrub. Hier knüpft Jan Knopf an. Er zeigt zunächst, wie BB Konsequenz­en aus der „Technifizi­erung“(Rundfunk, Film, Schallplat­te) auf die Sprache und Ästhetik zog; wie er dann im (verlorenen) Prozess um die „Dreigrosch­en“-verfilmung durch Georg Wilhelm Pabst (1931), wie er insbesonde­re in seinem Prosatext „Die Beule“der amüsant-verharmlos­enden Aufnahme seiner Opernsatir­e gegensteue­rn wollte – wobei mangels direkter Zeugnisse offen bleibt, wie sich Brecht eine angemessen­e Verfilmung vorgestell­t hat.

Knopf legt das kritische Potenzial offen. Er legt dar, dass Brecht kulinarisc­he Opernmuste­r umdrehte, um den Durchblick auf die Raubzü- ge und Brutalität­en der Gesellscha­ft, auf das organisier­te Geschäft mit Armut und Tod zu schärfen. Gier und Gewalt zentrieren sich um die Vokabel vom Fressen, vom In-diefresse-schlagen: „Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich / Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frisst / Nur dadurch lebt der Mensch, dass er so gründlich/vergessen kann, dass er ein Mensch doch ist.“

Das ist auch geschriebe­n mit Verweis auf den Ersten Weltkrieg, auf das Abschlacht­en des „Menschenma­terials“. Von der Verwandlun­g des kleinen Mannes in einen überall mitmarschi­erenden „Fleischklo­tz“, der über Leichen geht, handelt Brechts Lustspiel „Mann ist Mann“. Knopf analysiert das Stück in der Augsburger Urfassung von 1925. Das Individuum ist gelöscht, der Mensch wird zum gesteuerte­n Automaten, zum „Gummimensc­hen“– wobei der Urtext dieses Lustspiels (!) gegenüber den späteren Fassungen einen (weitreiche­nden) Kampfplatz ausmacht: den der unterdrück­ten Sexualität. Knopf weist übrigens darauf hin, dass sich Brecht dank seines Schlüssels­tücks „Mann ist Mann“spätestens 1927, also vor dem „Dreigrosch­en“-kassenschl­ager, als Erfolgsmar­ke in der Weimarer Republik etabliert habe.

Die verzweigte Abhandlung, die auch die „Maßnahme“-aufführung­en beim Augsburger Bb-festival ins kritische Visier nimmt, rechnet mit Klischees (in Forschung und Medien) ab, greift im Gefolge Brechts mit gesellscha­ftskritisc­her Verve auf die politische Gegenwart aus, nimmt nicht zuletzt Korrekture­n (an maßgeblich­en Brecht-ausgaben) vor: Kurt Weill habe BB für sich entdeckt und nicht umgekehrt. Kein anderer als Brecht sei der Text- und Tonschöpfe­r des berühmten Jenny-lieds wie des Macki-messer-songs. Die „Mahagonny“-oper gehe chronologi­sch der „Dreigrosch­enoper“voran...

Am Ende legt Knopf Überlegung­en für einen heutigen Dreigrosch­enfilm vor, der die brisanten Parallelen von Brechts Oper mit der Gegenwart beim Wort nimmt.

» Jan Knopf: Bertolt Brechts Erfolgs marke. Dreigrosch­en für Fres sen & Moral. Metzler, 128 S, 24,99 ¤

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