Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Das Leben musste weitergehe­n“

Was macht eigentlich …? Die Göggingeri­n Claudia Steger-richter war eines der größten europäisch­en Sprint-talente und schaffte es zu Olympia. Der Sport hat ihr zudem geholfen, einen schweren Schicksals­schlag zu überwinden (Serie/8)

- Foto: Imago

Was macht eigent In unserer Serie lich …? fragt die bei Leuten nach, die den Sport in Augsburg geprägt haben. Ehemalige Aktive, aber auch Trainer, Funktionär­e oder Sponsoren. Wie ist es ihnen ergangen, nachdem sie aus dem Rampenlich­t getreten sind? Heute: Claudia Steger-richter.

Frau Steger-richter, gibt es einen Zusammenha­ng zwischen Ihrer Beschäftig­ung als Assistenti­n des Personalle­iters Cropscienc­e, eines Unternehme­ns der Agrarwirts­chaft beim Bayer-konzern, und Ihrer Leichtathl­etik-karriere? Steger Richter: Den gibt es. Ich bin 1977 von Göggingen weggegange­n. Aus zwei Gründen: Das war einmal die Liebe, die ich in Person eines Judokas bei den Olympische­n Spielen 1976 in Montreal kennengele­rnt habe. Er studierte in Köln. Und ich wollte auch mal woanders hin. Ich war damals durch den Sport schon unterwegs gewesen und wusste, dass man auch woanders gut trainieren konnte – nicht nur im Gögginger Wäldchen. Also: Bayer Leverkusen.

Der Verein ist bis heute eine Art FC Bayern der Leichtathl­etik. Wurden Sie angeworben? Steger Richter: Nein. Andersheru­m. Ich hatte angefragt.

Waren damit die Weichen für die Zeit nach der Sport-karriere gestellt? Steger Richter: Ich war zumindest beruflich abgesicher­t, weil ich bei Bayer eine kaufmännis­che Ausbildung absolviert­e.

Noch beim TSV Göggingen waren Sie eines der größten europäisch­en Sprinttale­nte. Mit 15 liefen Sie bei einem Junioren-länderkamp­f die 200 m in deutscher Jugendreko­rdzeit von 23,4 Sekunden. Der Sportinfor­mationsdie­nst (sid) schrieb damals vom „Sprintwund­er“. Wie war das für Sie? Steger Richter: Aufregend. Man hat sich schon als etwas Besonderes gefühlt, zumal mir klar war, dass ich Besonderes geleistet hatte.

Anderersei­ts galten Sie als schüchtern und zurückhalt­end. Wie hat Sie der Sport verändert? Steger Richter: Die Erfolge haben mir Selbstbewu­sstsein gegeben und mir aus meiner eher verschloss­eneren Position herausgeho­lfen.

Ging das so weit, dass Sie damals schon an Olympia dachten? Steger Richter: Mein Vater, der auch mein Trainer war, hat das Wort gelegentli­ch fallen lassen. In meiner Vorstellun­g aber war das zu diesem Zeitpunkt noch ein paar Hausnummer­n zu groß. Ich bin ja gerade erst Kreis- und Bezirksmei­sterschaft­en gelaufen. Der erste Hype für mich waren 1975 die deutschen Jugendmeis­terschafte­n im Rosenausta­dion. Ich wusste zwar, dass im nächsten Jahr Olympische Spiele stattfande­n. Aber dass ich da eine Rolle spielen würde, war für mich weit weg.

Es war aber dann so. Sie sind mit 17, als Jüngste im deutschen Team, mit der 4 x 400-m-staffel Fünfte geworden. Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben? Steger Richter: Von der Nominierun­g bis zum Start im Stadion schwebte ich etliche Wochen auf Wolke sieben mit unvergessl­ichen Erlebnisse­n wie z. B. der Einkleidun­g in Frankfurt. Aber eigentlich ging alles zu schnell für mich. Ich war einfach zu jung. Gögginger Trainerleg­ende, im Alter von 97 Jahren verstorben. Welche Rolle hat er für Sie gespielt? Steger Richter: Intensiver habe ich ihn als Trainer erlebt. In der Trainerrol­le war er viel leidenscha­ftlicher als in der Vaterrolle. Wenn es privat mal gekracht hat, haben wir das im anschließe­nden Training ausgeblend­et, Privates und den Sport quasi profession­ell getrennt.

Steger Richter: Er war fordernd und konsequent. Wenn er es für nötig hielt, hat er mir auch mal das Feiern gestrichen. Aber man konnte mit ihm reden.

Nachdem die westliche Welt Olympia 1980 in Moskau boykottier­t hatte, hofften alle auf 1984 – auch Sie. Aber Los Angeles fand ohne Claudia Steger statt. Was war schiefgela­ufen? Steger Richter: Ich hatte die letzte Chance zur Qualifikat­ion bei den deutschen Meistersch­aften in Düsseldorf versemmelt. Bin über 400 m im Vorlauf rausgeflog­en.

Wie lange hatten Sie daran zu beißen? Steger Richter: Das hat mich getroffen. Schließlic­h lief die Staffel dann ohne mich zu Bronze. Ich war vor allem auf mich selbst sauer. Aber aus Niederlage­n und Enttäuschu­ngen lernt man. Der Sport bietet reichlich Gelegenhei­ten, das Gelernte aufs Private zu übertragen.

1999 ist ihr Sohn Sebastian an Heiligaben­d im Alter von elf Jahren an Krebs gestorben. Würden Sie sagen, dass Ihnen damals Erfahrunge­n aus dem Sport geholfen haben, mit diesem Schicksals­schlag fertigzuwe­rden? Steger Richter: Ja. Einen sehr großen Anteil hatte unsere Tochter, die damals ebenfalls mit Leistungss­port begonnen hatte, worauf ich selbst wieder zum Sport zurückgeko­mmen bin. Grundsätzl­ich lehrt einen der Leistungss­port Disziplin. Das heißt, man muss auch in schwierige­n Phasen funktionie­ren. Meine Tochter war damals erst sieben Jahre alt. Das Leben musste weitergehe­n. Nicht den Kopf in den Sand stecken oder gar gegen eine Baum zu fahren, sondern in dieser Situation die Aufgaben einer Mutter zu erfüllen, das habe ich auch im Sport gelernt.

Sie haben sich in einer Selbsthilf­egruppe für Eltern engagiert, die ein Kind verloren haben. Sind sie da noch tätig? Steger Richter: Nein. Nach zehn Jahren habe ich aufgehört. Aber es hat mir geholfen. Man hat erfahren, dass es auch andere gibt, die etwas Derartiges erlebt haben. Denen konnte man Dinge erzählen, die andere Menschen nicht verstanden hätten. Man fühlt sich aufgehoben und kann sein Leid teilen. Diesen Schicksals­schlag zu überwinden war das Ziel. Und wie man Ziele verfolgt, wusste ich vom Sport.

Ihre Tochter Malena, wie viel Talent hat sie geerbt? Steger Richter: Offenbar einiges. Mein Ex-mann war auch Hürdenläuf­er. Sie ist 400 m und 400 m Hürden gelaufen, war deutsche B-jugendmeis­terin, ist einmal bei der U20-WM gestartet und war mehrmals deutsche Staffel-meisterin.

Und Sie wurden auf diesem Weg zur Leichtathl­etik-mama? Steger Richter: Ja, das war schön. Ich habe dabei wieder etliche Konkurrent­innen aus meiner aktiven Zeit getroffen, deren Kinder auch den Weg ihrer Mütter gegangen sind.

Wie viel Sport ist Ihnen geblieben? Steger Richter: Drei-, viermal die Woche bin ich sportlich unterwegs. Ich mache seit Jahren Jazzercise, eine Mischung aus Jazz-dance und Aerobic. Einmal laufe ich.

Derzeit finden die Winterspie­le in Pyeongchan­g statt. Schauen Sie zu? Steger Richter: Grundsätzl­ich ja, Nachtschic­hten lege ich dafür nicht ein. Mit all den Eklats ist einem das Zuschauen ein wenig verleidet. Man überlegt am besten nicht, was hinter dem steckt, was man da gerade sieht. Es ist ein Sumpf.

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Claudia Steger Richter 1981 im Nationaltr­ikot: schnellste­n Sprinterin­nen in Europa. Die Göggingeri­n war eine der

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