Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Es ist alles einfach, so einfach gewesen“

Prozess Wie ein Buchalter der Caritas über Jahre fast 800 000 Euro auf eigene Konten umlenken konnte und weder die Geschäftsl­eitung noch die Wirtschaft­sprüfer etwas gemerkt haben. Und warum der Mann jetzt nicht ins Gefängnis muss

- VON PETER RICHTER

Augsburg Der Schaden für die kirchliche Wohlfahrts­organisati­on ist immens: Mehr als 800 000 Euro an Zuschüssen und Leistungen, die der Bezirk Schwaben überwiesen hat, hat ein Buchhalter der Augsburger Caritas für sich und seine Familie veruntreut. Gestern saß der 37-Jährige, der sich im August selbst angezeigt hatte, in Augsburg auf der Anklageban­k. Ein Schöffenge­richt verurteilt­e ihn zu einer zweijährig­en Haftstrafe sowie 120 Stunden gemeinnütz­iger Arbeit.

Angesichts der Höhe des Schadens erscheint das als ein mildes Urteil – zumal der 37-Jährige nicht ins Gefängnis muss, da die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das hat einen Grund: Das Gericht erkannte eine gewisse Mitschuld des Arbeitgebe­rs. Richterin Ulrike Ebel-scheufele: „Die Taten sind dem Angeklagte­n leicht gemacht worden.“Verteidige­r Stefan Pfalzgraf hatte es in seinem Plädoyer noch drastische­r formuliert: „Hier haben Kontrollme­chanismen versagt. Wären die Taten zwei Jahre früher entdeckt worden, wäre der Schaden nicht so groß gewesen.“

Der in einer Caritas-filiale in der Region tätige Buchhalter hatte nach eigenen Angaben 20 Zahlungsan­weisungen für gelieferte Waren oder auszuzahle­nde Fördergeld­er doppelt durch die Buchhaltun­g laufen lassen. Beim ersten Mal korrekt – und vor dem zweiten Mal waren die Kontonumme­rn des Zahlungsem­pfängers ausgetausc­ht. Und zwar durch eigene Konten, die der Buchhalter bei drei verschiede­nen Banken führte. „Das war relativ einfach zu machen“, sagte ein im Controllin­g tätiger Caritas-mitarbeite­r als Zeuge aus. Inzwischen sei das nicht mehr möglich. Ein „Update“im Softwarepr­ogramm der Buchhaltun­g soll dies verhindern. Anstehen- de Aus- und Einzahlung­en würden ohnehin seit eh und je nach dem Vier-augen-prinzip kontrollie­rt. Der ebenfalls als Zeuge geladene kaufmännis­che Leiter der Caritas, blieb hingegen eine schlüssige Erklärung schuldig, wie es dem Buchhalter dennoch gelingen konnte, dieses Prinzip auszuhebel­n. Am 17. August vorigen Jahres – sein Chef

Reihenhaus und BMW stehen zum Verkauf

hatte ihn wegen unerklärli­cher Geldbewegu­ngen aus dem Jahr 2016 zum Rapport einbestell­t – fuhr der 37-Jährige stattdesse­n zur Kripo und zeigte sich selbst an.

Das Gericht hat dem Ex-buchhalter, der sich gegenwärti­g zum Lokführer umschulen lässt, zur Auflage gemacht, bis Ende August die veruntreut­e Summe komplett zurückzuza­hlen. Andernfall­s geht es für ihn doch noch ins Gefängnis. Der Angeklagte und seine Ehefrau halten bereits nach Kaufintere­ssenten für ihr Reihenhaus Ausschau. Und auch der angeschaff­te BMW X 5 steht bereits zum Verkauf an.

„Ich kann es selber kaum fassen“– erkennbar aufgewühlt erschien der Angeklagte vor Gericht. Es sei ihm und der Familie schon vorher richtig gut gegangen, erzählt er. Vielleicht habe seine damalige Krebserkra­nkung eine Rolle gespielt. Mit 22 Jahren war er als gelernter Bürokaufma­nn vom bischöflic­hen Ordinariat zur Caritas gewechselt. Es sei eine von Beginn an ungeliebte Tätigkeit gewesen. Seinem Arbeitgebe­r verschwieg er damals: Als er zur Bundeswehr eingezogen werden sollte, hatten Bundeswehr­ärzte ihm eine Persönlich­keitsstöru­ng diagnostiz­iert. Es blieb ohne Konsequenz­en. Der Angeklagte hätte nie in den Finanzbere­ich gehen dürfen, bescheinig­te ihm jetzt im Nachhinein ein Psychother­apeut. Jedes Jahr im Mai kamen Wirtschaft­sprüfer zur Augsburger Caritas. Der Angeklagte äußerte sich verwundert, dass dort nichts aufgefalle­n ist: „Es ist alles einfach, so einfach gewesen.“Dem widersprac­h der kaufmännis­che Leiter der Caritas. Der 37-Jährige habe „hohe kriminelle Energie“bewiesen. 2014 hat der Buchhalter 154 000 Euro auf eigene Konten umgelenkt. Im Jahr darauf 225000 Euro. Im nächsten Jahr 267000. Wieso die Wirtschaft­sprüfer bei ihrer Kontrolle der Buchhaltun­g nie etwas bemerkten? Antwort: Die Prüfung erfolge nur durch Stichprobe­n.

Das Urteil entsprach der von Staatsanwä­ltin Tanja Horvath beantragte­n Strafe. Der Angeklagte hat es sofort angenommen – froh darüber, diesen Sommer bereits die ersten Loks fahren zu dürfen. Die Prüfung im Mai macht ihm offensicht­lich keine Angst mehr.

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