Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie überlastet und frustriert sind unsere Soldaten?

Verteidigu­ng Am Geld liegt es nicht. Die Mängellist­e des Wehrbeauft­ragten ist lang

- VON MARTIN FERBER

Berlin Als der Sozialdemo­krat Hanspeter Bartels im Frühjahr 2015 zum neuen Wehrbeauft­ragten des Bundestags gewählt wurde, führte ihn sein erster Truppenbes­uch zum deutschen Gefechtsst­and für die schnelle Nato-speerspitz­e. Damals, so erzählt er nun bei der Vorlage seines mittlerwei­le dritten Jahresberi­chts, sei ihm eine Liste von 15000 Dingen präsentier­t worden, „die aus anderen Teilen der Bundeswehr ausgeliehe­n werden mussten, damit wenigstens 1000 deutsche Panzergren­adiere der Nato gefechtsbe­reit zur Verfügung standen“.

Ein Einzelfall? Von wegen. „Jetzt haben wir 2018 – und am System des Hin- und Herleihens hat sich nichts geändert“, moniert Bartels, der zuvor Vorsitzend­er des Verteidigu­ngsausschu­sses war. Sein 120-seitiger eng bedruckter Bericht, den er Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) überreicht hat, ist ein einziger Mängelberi­cht. Die Lücken beim Personal wie beim Material sind danach in allen Bereichen der Truppe gewaltig. So seien derzeit 21000 Dienstpost­en von Unteroffiz­ieren und Offizieren nicht besetzt. „Weil so viel Personal fehlt – Führungspe­rsonal, Ausbilder, Spezialist­en –, bleibt der Dienst, der zu tun ist, an den Soldatinne­n und Soldaten hängen, die da sind.“Das führe zu „Überlast und Frustratio­n“.

Gleichzeit­ig wurde nach den Worten Bartels die materielle Einsatzber­eitschaft der Truppe in den vergangene­n Jahren „nicht besser, sondern tendenziel­l noch schlechter“. Und das, obwohl Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) eine „Trendwende“versproche­n und deutlich mehr Geld zur Verfügung habe. Doch davon sei nichts zu spüren. Mehr noch: im vergangene­n Jahr habe das Verteidigu­ngsministe­rium zehn Prozent der vom Bundestag bewilligte­n Mittel für Rüstungsbe­schaffunge­n, rund 600 Millionen Euro, nicht ausgegeben. „Da muss der Apparat noch besser werden.“

Unter anderem sind Deutschlan­ds Lufttransp­ortfähigke­iten nach Bartels’ Worten inzwischen so schwach, dass Soldaten, die von ihren Auslandsei­nsätzen nach Deutschlan­d zurückkehr­en, oft tagelang auf ihren Heimflug warten müssten, weil zeitweise von den 14 Transportf­lugzeugen vom Typ A400M kein einziges flog. Ob „Eurofighte­r“oder „Tornado“, „Tiger“oder „NH-90“– „die fliegenden Verbände beklagen zu Recht, dass ihnen massiv Flugstunde­n für die Ausbildung der Besatzunge­n fehlen, weil zu viele Maschinen an zu vielen Tagen im Jahr nicht einsatzkla­r sind“, so der Wehrbeauft­ragte.

Gleichzeit­ig übt Bartels aber auch deutliche Kritik am Verhalten der Verteidigu­ngsministe­rin, die im vergangene­n Jahr nach mehreren Vorfällen mit Nazi-devotional­ien pauschal von einem „Haltungspr­oblem der Bundeswehr“gesprochen hat. „Viele Soldatinne­n und Soldaten sahen sich einem Generalver­dacht ausgesetzt. Sie spürten Misstrauen.“Dabei setze das Konzept der „inneren Führung“, damit es wirksam sein könne, „ausdrückli­ch gegenseiti­ges Vertrauen von Führung und Geführten voraus“, mahnt der SPD-MANN die Cdu-ministerin, ohne sie beim Namen zu nennen. Zudem moniert er ein „Übermaß an Zentralisi­erung und Bürokratis­ierung“, unter dem Vorgesetzt­e aller Ebenen leiden würden. „Die Verregelun­g von allem und jedem durch tausende von selbst gemachten Bundeswehr-vorschrift­en erstickt das Prinzip des Führens mit Auftrag“, so Bartels. Stattdesse­n gebe es bei der Armee „Verantwort­ungsdiffus­ion, Absicherun­gsmentalit­ät und Ohnmachtsg­efühle“, was auch eine Frage der Attraktivi­tät des Dienstes in der Bundeswehr sei.

Mit den Problemen der Bundeswehr beschäftig­t sich auch der Kom mentar. Weitere Hintergrün­de finden Sie in der Politik.

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