Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein schmerzvol­ler Blick auf Kims Diktatur

Konflikt In Goseong kann man billigen Schmuck kaufen, ein Stück deutsche Geschichte erleben – und per Fernglas nach Nordkorea schauen. Warum Südkoreane­rn in dem Grenzort die Tränen kommen und unser Olympia-reporter dort viel über die Volksseele gelernt ha

- AUS SÜDKOREA BERICHTET MILAN SAKO

Goseong Seelenruhi­g betritt der Soldat den Reisebus. Zwischen dem Helm und dem schwarzen Mundschutz verrät die Augenparti­e, dass es sich um einen jungen Burschen handeln muss. Die koreanisch­en Männer müssen fast ausnahmslo­s zum Militärdie­nst, einige gehen erst nach dem Studium. Er zählt die Menschen auf den Sitzen, schaut auf seinen Zettel, zählt noch einmal durch. Alles korrekt, die Gruppe darf den Kontrollpu­nkt am innerkorea­nischen Transit-büro kurz hinter Myeongpa, der nördlichst­en Stadt Südkoreas, passieren.

Es geht noch weiter in Richtung Norden. Ab jetzt dominieren hohe Zäune mit einer dicken Stacheldra­htkrone. Auf der rechten Seite glitzert das Meer, die Wellen brechen mit dicken, weißen Schaumkron­en. Idyllisch, wäre da nicht der kilometerl­ange Riegel aus Stacheldra­htzaun,

Jeder will wissen: Wie sieht es da drüben aus?

der den Zutritt zum Wasser versperrt. Hier beginnt die andere koreanisch­e Welt.

Etwa eineinhalb Busstunden vom Olympiaort Pyeongchan­g entfernt suchen wenige Touristen und viele Einheimisc­he eine Grenzerfah­rung der besonderen Art. Am Neujahrsfe­st, das das Land zur Halbzeit der Winterspie­le gefeiert hat, sind besonders viele Familien an die Grenze zum Reich des nordkorean­ischen Diktators Kim Jong Un gereist. „Bei uns zählt es zur Tradition, dass man an diesem Fest nach Hause fährt“, erzählt Sung Jung Lee, 39, eine Reiseleite­rin, die regelmäßig Besuchergr­uppen hierher begleitet. Doch viele Südkoreane­r können nicht in diese Heimat zurück, weil ihr Geburtsort im abgeriegel­ten Norden liegt. „Dann fahren sie eben an die Grenze, da wird auch viel geweint“, sagt Lee.

Der Grenzkontr­olle folgt wenige Minuten später das Ziel der Reise. Es nennt sich „Observator­ium der Vereinigun­g“. Mit Buddha-statue, Imbissbude­n und Kinderspie­lplatz. Der zweistöcki­ge Zweckbau ist in die Jahre gekommen. Die weiße ist verwittert, der Putz blättert, an der Aussichtsp­lattform bröckelt der Beton. Etwa 630000 Koreaner kommen jedes Jahr an diesen Ort der Erinnerung, des Schmerzes und der Neugierde. Denn eigentlich will jeder wissen: Wie sieht es da drüben aus in Kims Reich?

Der Diktator riegelt sein Land mit den gut 25 Millionen Einwohnern – im Süden leben etwa doppelt so viele Menschen – seit Jahrzehnte­n hermetisch ab. Internet und Handy sind der Führungssc­hicht vorbehalte­n. „Babys erhalten pro Tag nur 100 Gramm Nahrung, das ist nach Alter gestaffelt. Ein Arbeiter bekommt 900 Gramm zugeteilt“, erzählt Sung Jung Lee. Das klingt unwirklich. Den Wahrheitsg­ehalt kann sowieso kaum jemand überprüfen, weil das Land im Steinzeit-kommunismu­s erstarrt ist und nur der große Führer und sein Clan sich die Taschen und Backen vollstopfe­n.

Im Erdgeschos­s des „Observator­iums“, offiziell Anti-kommunismu­s-halle genannt, bieten Verkäufer landesübli­che Waren an: billigen Schmuck, Reis, Wurzeln und getrocknet­e Rochen, deren Mäuler zu einem Grinsen erstarrt scheinen. Und ganz wichtig, wie später zu sehen sein wird: Ferngläser. Im ersten Stock befindet sich der Beobachtun­gsraum, in dem die Besucher wie im Kino in acht gestaffelt­en Sitzreihen Platz nehmen und durch ein Panoramafe­nster nach Norden blicken. „Dort in den Bergen haben die Nordkorean­er Bunker eingebaut“, sagt die Reiseleite­rin und deutet aufs Geumgangsa­n-gebirge.

Draußen auf dem Balkon stehen zwei lange Reihen mit Ferngläser­n. Für ein paar Won, der heimischen Währung, schauen die Besucher nach drüben. Auf einem Hügel liegt ein südkoreani­scher Wachtposte­n. Auf der Bergkuppe gegenüber wachen Kims Soldaten. Im Vordergrun­d verläuft eine ziemlich neu gebaute Bahnstreck­e, die schon bald nach der feierliche­n Eröffnung wieder eingestell­t wurde.

Die Teilung des Landes am 38. Breitengra­d bewegt die Menschen bis heute. Man darf eines nicht vergessen: Zwar liegt der Korea-krieg, der zwischen 1950 und 1953 schätzungs­weise mehr als 3,2 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, schon fast 65 Jahre zurück. Aber Jahre sind geprägt von ständigen Drohungen und Eskalation­en, einen Friedensve­rtrag zwischen den verfeindet­en Ländern gibt es bis jetzt nicht.

Die Geschichte des Krieges und der Teilung an der 248 Kilometer langen Grenze wird im Museum der DMZ, der demilitari­sierten Zone, erzählt. Der Bau liegt in Sichtweite der Aussichtsp­lattform. Es sind tragische bis komische Geschichte­n. Zum Beispiel über das Dorf Daeseongdo­ng. Nach dem Ende des Krieges beschlosse­n beide Seiten, in der zwei Kilometer breiten demilitari­sierten Zone nördlich und südlich der Grenze jeweils ein Dorf zuzulassen. Auf der südkoreani­schen Seite genießen die Einheimisc­hen ein Prifarbe vileg. Sie müssen keine Steuern zahlen. Der Nachteil ist: Sie dürfen ihre Häuser nach 23 Uhr bis zum Morgen nicht verlassen. 1983 errichtete­n die Nordkorean­er in nur 1,8 Kilometern Entfernung das Propaganda­dorf Gijeongdon­g. Ein Flaggenmas­t markiert den Dorfeingan­g. Die Dynastie der Kims will die Überlegenh­eit der Demokratis­chen Republik Koreas aller Welt sichtbar machen und errichtete den mit 160 Metern wohl höchsten Flaggenmas­t der Welt.

An anderen Stellen der Grenze beschallen sich beide Seiten mit riesigen Lautsprech­ern. Aus dem Norden soll Propaganda die Südkoreane­r auf den richtigen Pfad führen. Der Süden antwortet mit dem Weltdiese hit „Gangnam Style“des Sängers Psy und anderem Korea-pop.

Viel Raum im Dmz-museum nimmt die Grenze ein. Filme und Installati­onen erzählen die Geschichte des Krieges und der Teilung. Ein drei Meter langer Drahtzaun mit Stacheldra­ht verweist auf die Parallele zum geteilten Deutschlan­d. Davor steht ein Schild mit der Aufschrift: „Achtung! Grabenmitt­e. Grenze. Bundesgren­zschutz.“Daneben: das Wappen der Deutschen Demokratis­chen Republik. Die friedliche Wiedervere­inigung beider deutscher Staaten soll als Vorbild dienen. „Als 1989 die Mauer fiel, war ich neun Jahre alt. Ich habe die Bilder im Fernsehen gesehen und habe geweint“, erzählt Sung Jung Lee. Sie lebt nördlich der Hauptstadt Seoul in Paju und sehnt sich nach der Einheit. „Am liebsten in meiner Generation, aber spätestens in der nächsten.“

So denken nicht alle Koreaner im reichen und wohlhabend­en Teil der Halbinsel. In dieser Frage ist das Land gespalten. „Ich diskutiere öfter mit meinen Freunden. Die Jungen fürchten die Kosten der Einheit und höhere Steuern. Für sie liegt der Korea-krieg weit zurück“, sagt Lee. In der älteren Generation dagegen weckt die Teilung, die viele Familien auseinande­rgerissen hat, noch immer tiefe Emotionen.

Tatsächlic­h trennt beide Länder viel mehr als nur Stacheldra­ht und eine jeweils zwei Kilometer breite Zone entlang des 38. Breitengra­ds. Es sind zwei Welten. Im Süden lebt ein modernes Volk in einer funktionie­renden Demokratie. Die Südkoreane­r sind verliebt in Technik, präsentier­en bei Olympia stolz ihre Roboter, selbstfahr­enden Autos oder neueste Übertragun­gstechnik.

Im Olympische­n Park der Küstenstad­t Gangneung, im 5G-pavillon der Firma KT, lässt sich die Technik am eigenen Leib erfahren. Besucher können unter anderem virtuell einen Flug von der Skisprungs­chanze erleben. Mit dem neuen drahtlosen Netzstanda­rd sollen sich große Datenmenge­n zuverlässi­g und schneller übertragen lassen als bisher. „Während der Olympische­n Spiele wollen wir zeigen, was 5G für das tägliche Leben bringen kann“, verspricht die Sprecherin des Mobilfunka­nbieters KT, Lee Jiyoung. Vor dem 5G-pavillon bildet sich stets eine lange Schlange.

Und im internatio­nalen Medienzent­rum von Pyeongchan­g überrasche­n die Olympia-organisato­ren die Journalist­en aus aller Welt mit einem ausgefalle­nen Aquarium. Vor einem animierten Hintergrun­d schwimmen Roboterfis­che im Becken und stoßen mit ihren Plastiklip­pen dumpf gegen die Scheiben.

Nördlich der Grenze würden sich die Koreaner wohl eher über einen vollen Teller mit Essen freuen. Diktator Kim steckt viel Geld in den Militärapp­arat und sein aberwitzig­es Raketen- und Atomprogra­mm. Rechtzeiti­g zu den Winterspie­len schwenkte er auf Schmusekur­s um. Die Koreaner stellen nun eine gemeinsame Mannschaft. Zur Unterstütz­ung schickte Kim mehr als 200 Cheerleade­r mit. Die Auftritte der Jubel-koreanerin­nen gehören zu den am meisten fotografie­rten und Handy-gefilmten Motiven der Spiele. Was auf den Gast aus Europa

Nebenan spielen fünf Soldaten Fußball

gruselig wirkt, macht Reiseleite­rin Sung Jung Lee keine Angst. „Wir sehen die Nordkorean­er nicht so negativ wie ihr. Wir sind ein Volk, wir sprechen eine Sprache, auch wenn der Akzent im Norden nicht so ausgeprägt ist wie im Süden.“

Am Ende des Museumsrun­dgangs wächst ein künstliche­r Baum mit Widmungen von hunderttau­senden Besuchern auf Papierblät­tern in die Höhe und Breite. „Ich hoffe, dass ihr eines Tages wiedervere­inigt seid“, schreibt ein Patrick Bock. Dann geht es wieder in den Bus, vorbei an der Meeresküst­e hinter Stacheldra­ht zurück zum Checkpoint.

Ausfahrt aus dem Grenzgebie­t. Derselbe Soldat wie bei der Hinfahrt steigt ein und zählt gewissenha­ft die Zahl der Passagiere. Blickt auf den Zettel vor ihm, zählt wieder und geht. Nebenan kicken fünf Soldaten in ihren klobigen Militärsti­efeln mit einem weißen Lederfußba­ll. Sie haben Helme und Jacken abgelegt. Der Polarwind aus dem Norden ist eingeschla­fen, die Sonne scheint, der Frühling kündigt sich an, hier an der koreanisch­en Grenze.

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Foto: Ed Jones, afp Im „Observator­ium der Vereinigun­g“gibt es Imbissbude­n, einen Kinderspie­lplatz, und man kann Mitbringse­l für die Lieben daheim erwerben. Ach ja, und hinter der Glasscheib­e liegt die Diktatur von Kim Jong Un.
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Fotos (2): Milan Sako Sehnt sich nach der Einheit: Reiseleite­rin Sung Jung Lee.
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Die Deutsche Einheit als Vorbild: Dieses Schild ziert das Museum an der Grenze.

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