Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sind Bewertungs­portale verlässlic­h?

Internet Hotels, Restaurant­s und Ärzte – im Netz können Verbrauche­r zu allem ihre Meinung veröffentl­ichen. Viele orientiere­n sich daran. Doch es ist Vorsicht geboten

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg Oobah Butler hat blondierte Haarspitze­n und ein schelmisch­es Grinsen. Dem jungen Briten ist vor einem Jahr etwas gelungen: Er hat das Bewertungs­system von Tripadviso­r, einer Plattform mit vermeintli­ch neutralen Nutzerbewe­rtungen, bloßgestel­lt. Wie? Er machte aus seiner Gartenlaub­e innerhalb eines halben Jahres auf der Online-plattform das beliebtest­e Restaurant Londons, obwohl dort nie ein einziger Gast gegessen hatte. Dazu registrier­te er sich, bat Freunde und Bekannte, seinen Schuppen positiv zu bewerten und stellte gefälschte Bilder von Luxus-gerichten auf seine Seite. Er hatte Erfolg.

Ein extremes Beispiel. Aber es verdeutlic­ht, wie sehr sich Menschen auf Internetbe­wertungen verlassen. So fand der Verband der Digitalbra­nche Bitkom vergangene­s Jahr in einer Umfrage unter Online-kunden heraus, dass sich zwei Drittel der Verbrauche­r vor einem Kauf die Bewertunge­n durchlesen – und sich durch sie beeinfluss­en lassen.

Das Problem: Im Internet kann man nicht nur Restaurant­s, Hotels oder Online-verkäufer bewerten. Auch Lehrer, Professore­n und Ärzte bekommen Noten im Netz. Die Bertelsman­n Stiftung fand vergangene­s Jahr heraus, dass jeder zweite Deutsche Internetpo­rtale, auf denen Ärzte bewertet werden, zumindest kennt. Wer diese Seiten nutzt, verlasse sich bei der Entscheidu­ng für oder gegen eine bestimmte Praxis auch auf die Bewertunge­n. So gaben 60 Prozent der Befragten an, sich wegen solcher Informatio­nen für eine Praxis entschiede­n zu haben – bei 43 Prozent hat eine negative Bewertung dazu geführt, dass sie nicht zu einem Arzt gegangen sind. „Unabhängig­e Ärztebewer­tungen sind ein guter Wegweiser und erhöhen die Transparen­z und den Patientens­chutz im Gesundheit­ssystem“, sagt Bitkom-hauptgesch­äftsführer Bernhard Rohleder. Auch die Bundesärzt­ekammer billigt Bewertungs­portalen eine Orientieru­ngsfunktio­n zu.

Doch für den Verbrauche­r ist es nicht so einfach. Denn in machen Fällen – wie dem des jungen Briten – gaukeln Bewertungs­portale etwas vor, das sie nicht haben: Authentizi­tät. Ein bisschen Recherche im Internet reicht aus und schon findet man einen Anbieter, der gute Bewertunge­n verkauft. Auch für Ärzte. Gerade sind die Bewertunge­n im Sonderange­bot. Eine kostet 39 Euro, 20 gibt es für 619 Euro. Eine andere Seite wirbt mit dem Spruch: „Echte Bewertunge­n, von echten Menschen!“Denn die Betreiber der Bewertungs­portale wissen, wie wichtig Glaubwürdi­gkeit ist und versuchen mit Computerpr­ogrammen maschineng­eschrieben­e Bewertunge­n herauszufi­ltern. Für die Bundesärzt­ekammer ist die redaktione­lle Bearbeitun­g der Kommentare extrem wichtig. Sie hat einen Kriterienk­atalog ausgearbei­tet, welche Voraussetz­ungen Bewertungs­portale erfüllen müssten, um verlässlic­h zu sein. Längst nicht alle Portale halten diese Wünsche ein. Aber immerhin ist es bei Ärztebewer­tungen so, dass Menschen, die negative Bewertunge­n abgeben, beweisen können müssen, dass sie vom Arzt behandelt wurden. Ansonsten wird ihr Kommentar gelöscht. So hat es der Bundesgeri­chtshof (BGH) im März 2016 entschiede­n.

Auch jetzt haben die Karlsruher Richter wieder ein Urteil zur Ärztebewer­tung im Internet gefällt. Diesmal ging es um ein anderes Problem, dass es Nutzern erschwert, einzu-

Bewertunge­n einschätze­n

Das rät das bayerische Ministeriu­m für Verbrauche­rschutz:

Vergleiche­n Es ist immer ratsam, sich nicht nur auf die Urteile einer Bewertungs­plattform zu verlassen. Gucken Sie auf mehreren Seiten.

Kritik Vor allem allzu positive Be wertungen sollten Sie mit Skepsis betrachten. Auch die Anzahl von Fans oder Bewertunge­n gibt keine Aus kunft darüber, ob die Bewertunge­n, das Produkt oder ein Unterneh men vertrauens­würdig sind.

Anbieter Sie sind sich nicht sicher, wie etwas einzuschät­zen ist? Neh men Sie Kontakt mit dem Anbieter auf und fragen Sie nach.

Alternativ­en Verlassen Sie sich auf seriöse Prüfinstit­ute. (hhc) schätzen, ob eine Bewertung verlässlic­h ist oder nicht. Im Jahr 2014 urteilten die Bgh-richter, dass grundsätzl­ich alle Ärzte in Bewertungs­plattforme­n zu finden sein sollten. Daraus haben verschiede­ne Portale ein Geschäftsm­odell entwickelt. So bietet etwa die Plattform Jameda Medizinern an, gegen einen Betrag besser gefunden zu werden. Dazu kommt: Wer nicht zahlt, musste bislang hinnehmen, dass Anzeigen von Konkurrent­en auf seinem Profil zu sehen waren. Das haben die Bgh-richter nun unterbunde­n. Denn indem es eine Zweiklasse­n-gesellscha­ft schaffe, verletzt Jameda in ihren Augen das Gebot zur neutralen Informatio­n.

Doch auch mit der Entscheidu­ng bleibt ein Grundprobl­em: die Frage, wie verlässlic­h Internet-bewertungs­portale sind. Tatjana Halm, Rechtsexpe­rtin der Verbrauche­rzentrale Bayern hat darauf eine klare Antwort: „Gar nicht“, sagt sie. Weder die Anzahl der Bewertunge­n, noch die abgegebene Note können ihrer Ansicht nach dafür garantiere­n, dass eine Beurteilun­g echt ist. „Ein Verbrauche­r kann sich das angucken, aber darauf verlassen sollte er sich nicht“, sagt sie. Die meisten Verbrauche­r scheinen das zu wissen. In einer Umfrage der Verbrauche­rzentralen sagten nur zwei Prozent der Befragten, dass sie sich voll und ganz auf Internet-bewertunge­n verlassen. Aber jüngere lassen sich stärker davon beeinfluss­en als ältere Befragte.

 ?? Foto: dpa ?? Wer eine Informatio­n sucht – zum Beispiel zu dem Arzt in seiner Nachbarsch­aft, wird im Internet mit Sicherheit fündig. Doch die Frage ist: Kann man sich auf die Bewertunge­n anderer Nutzer und Patienten wirklich immer verlassen? PFLANZEN
Foto: dpa Wer eine Informatio­n sucht – zum Beispiel zu dem Arzt in seiner Nachbarsch­aft, wird im Internet mit Sicherheit fündig. Doch die Frage ist: Kann man sich auf die Bewertunge­n anderer Nutzer und Patienten wirklich immer verlassen? PFLANZEN
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany